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Bis Jetzt sind erschienen : nd: Untersnchnngen fiber die racOoaktiven Substanzen von Mme.S. Curie. Übersetzt und mit Literatureri^änzunifen versehen von W. Kaufmann. Dritte Auflage. Mit 14 Abbild. Preis Jf, 3,—, |:eb. jK, 3,80. nd: Die Kaihodenstrahlen von Prof. Dr. G. C. Schmidt Zweite ver- besserte u. verm. Auflaufe. Mit 50 Abbild. Preis J^ S, — , i^eb. J^ 3,60. nd: Elektrizität und Materie von Prof. Dr. J. J. Thomson. Autorisierte Übersetzung von G. Siebert Zweite verbesserte Auflage. Mit 21 Ab- bildungen. Preis J^Zy — , geb. J^ 3,60. n d : Die physilcaiischen Eigenschafton der Seen von Dr. Otto Freiherr von und zu Aufftess. Mit 36 Abbild. Preis J^ 3,—, geb. Ji 3,bO. ind: Die Entwickelung der elektrischen Messungen von Dr. 0. Frölich. Mit 124 Abbild. Preis J^ b,—, geb. J^ 6,80. ind: Elektromagnetische Schwingnngen und Wellen von Prof. Dr. Josef Ritter v. Geitler. Mit 86 Abbild. Preis J^ 4,50, geb. J^ 5,20. ind: Die neuere Entwickelnng der Kristallograpliie von Prof. Dr. H. Baum- liauer. Mit 46 Abbild. Preis J^ 4,—, geb. J^ 4,60. ind: Neuere Anschauungen auf dem Gebiete der anorganischen Chemie von Prof. Dr. A. Werner. Dritte durchgesehene und vermehrte Auf- lage. 1913. Preis J^U-, geb. J^ 12,-. 1 n d : Die tierischen Qifte von Dr. Edwin S. Faust Preis jH, 6,—, geb. J^ 6,80. md: Die psychischen Maßmethoden von Dr. G. F. Lipps. Mit 6 Abbild. Preis J^ 3,50, geb. J^ 4,\0. md: Der Bau des Hxstemsystems von Prof. Dr. Hermann Koboid. Mit 19 Abbild, und 3 Tafeln. Preis ^ 6,50, geb. J^ 7,30. md: Die Portschritte der leinetischen Qastheorie von Prof. Dr. G. Jäger. Mit 8 Abbild. Preis J^ 3,50, geb. ^4,10. md: Petrogenesis von Prof. Dr. C. Doelter. Mit 1 Lichtdrucktafel und 5 Abbild. Preis Ut 7,— , geb. J^ 7,80. md: Die Grundlagen der Parbenphotographie von Dr. B. Donath. Mit 35 Abbild, u. 1 färb. Ausschlagtafel. Preis ^5, — , geb. J^ 5,80. md: Höhlenkunde mit Berücksichtigung d. Karstphänomene vonDr. phil. Walther von Knebel. Mit 42 Abbild. Preis Ji 5,50, geb. J^ 6,30. md: Die Eiszeit von Prof. Dr. F. E. Geinitz. Mit 25 Abbild., 3 farbigen Tafeln und einer Tabelle. Preis J^ 7, — , geb. J^ 7,80. md: Die Anwendung der Interferenzen in der Spektroskopie u. Metrologie von Dr. E. Gehrcko. Mit 73 Abbild. Preis J^ 5,50, geb. Ji 6^0. md: Kinematik organischer Gelenke von Prof. Dr. Otto Fischer. Mit 77 Abbild. Preis J^ 8,—, geb. J^ 9,—. und: Pranz Nenmann und sein Wh'ken als Porscher und Lehrer von Prof. Dr. A. Wangerin. Mit einer Textfigur und einem Bildnis Neumanns in Heliogravüre. Preis J^ 5,50, geb. J^ 6,20. Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. 1*^« 11/* I 1*1 Samraiung von Einzeldarttellungen aut den Qe- U16 WISSCnSCnOlX bieten der Naturwliientohaft und der Technik. 20. Band: Die Zustandssteichnng der Oase o« Flüssigkeiten n. die Kontinnitäts- theorie v. Prof. Dr. J. P. Kuenen. Mit 9 Abb. Preis JH, 6,50, geb. ^7,10. 21. Band: Radioalctlve Umwandlungen von Prof. E. Rutherford. Übersetzt von M. Levin. Mit 53 Abbild. Preis J/k 8,—, geb. JH, 8,60. 22. Band: Kant und die Natorwissenscliaft von Prof. Dr. Edm. König. Preis geh. ^6, — , geb. Jk 7,—. 23. Band: Synthetisdi-organisclie Cliemie d. Neuzeit von Prof. Dr. Jul. Schmidt Preis JK, 5,50, geb. M 6,20. 24. Band: Die chemische Affinitit und ihre Messung von Dr. Otto Sacicur. Mit 5 Abbildungen im Text. Preis Jjk 4,—, geb. Jk 4,80. 25. Band: Die Korpuskulartheorie der Materie von Prof. Dr. J. J. Thomson. Deutsch von Q. Siebert. Mit 29 Abbild. Preis Ui( 5,— , geb. J^ 5,80. 26. Band: Die BinduiH;: des atmosphärisclien Stickstoffs in Natur und Technik von Dr. P. Vageier. Mit 16 Abbildungen im Text und auf 5 Tafeln. Preis jm, 4,50, geb. Jß, 5,20. 27. Band: Die Schwerehestimmung an der Erdoberfläche von Prof. Dr. Joh. Bapt. Messersehmitt Mit 25 Abbildungen. Preis Jk 5,—, geb. Jk 5,80. 28. Band: Die Kraftfelder von Prof. Dr. V. Bjerknes. Mit 29 Abbildungen. Preis M, 7,—, geb. JH, 7,80. 29. Band: Physiologie der Stimme und Sprache von Prof. Dr. Hermann Gutz- mann. Mit 92 Abbildungen im Text und auf 2 Tafeln, zum Teil in Farbendruck. Preis geh. Jjk 8, — , geb. Jjk, 9, — . 30. Band: Die atmosphärische Elektrizität. Methoden und Ergebnisse der modernen luftelektrischen Forschung von Prof. H. Mache und Prof. E. V. Schweidler. Mit 20 Abbildungen. Preis M» 6,—, geb. Jj/k 6,80. 31. Band: Das Klimaprobiem der geologischen Vergangenheit und historischen Gegenwart von Dr. Wllh. R. Eckardt Mit 18 Abbildungen und 4 Karten. Preis M 6,50, geb. Jk 7,10. 32. Band: Lichtbiologie. Die experimentellen Grundlagen der modernen Licht- behandlung, zusammengestellt von Dr. Albert Jesionek, Professor an der Universität Gieflen. 1910. Preis Jk 4,—, geb. Jß, 4,80. 33. Band: Die physikalisch - chemischen Eigenschaften der Legierungen. Von Prof. Dr. Bernh. Deesau. Mit 82 Abbild. Preis J/k 7,—, geb. M 8,—. 34. Band: Die elektrische Pernubertragung von Bildern. Von Dr. Rob. Pohl. Mit 25 Abbildungen. Preis Jß, 1,80, geb. M 2,50. 35. Band: Die elektrischen Erscheinungen in metallischen Leitern. (Leitung, Thermoelektrizität, Galvanomagnetische Effekte, Optik). Von Professor Dr. K. Baedeker. Mit 25 Abbildungen. Preis Jk 4,—, geb. M 4,80. 36. Band: Grundlagen der praktischen Metronomie. Von Prof. Dr. K. Scheel. Mit 39 Abbildungen. 1911. Preis Jß, 5,20, geb. M 6,-. DIE WISSENSCHAFT SAMMLUNG VON EINZELDARSTELLUNGEN AUS DEN GE- BIETEN DER NATURWISSENSCHAFT UND DER TECHNIK ■ BAND 64 E. STUDY DIE REALISTISCHE WELTANSICHT UND DIE LEHRE VOM RÄUME BRAÜNSCHWEIG DBUOK UND YBBLA.a VON FBIBDR. VIBWEO * SOHN 1914 m o k# ^ » ■■» •> ^ « W «t u •* « <# >• .^ .* DIE REALISTISCHE WELTANSICHT UND DIE LEHRE VOM RÄUME GEOMETRIE ANSCHAUUNG UND ERFAHRUNG Vom E. STUDY l( MHAEIZ ArEQMETPHTOZ EIZITQ BRAÜNSOHWEIG DBUQK UND YEBLAO VON FBIEDB. YIICWICG * SOHM 1914 57 Wann ist unsere Auffassung der Welt wahr? „Wenn der Zusammenhang unserer Vorstellungen dem Zusammenhange der Dinge entspricht.^ Woraus soll der Zusammenhang der Dinge gefunden werden? „Aus dem Zusammenhange der Erscheinungen.^ B. Riemann. So sind die Vorstellungen von der Außenwelt Bilder der gesetzmäßigen Zeitfolge der Naturereignisse, und wenn sie nach den Gesetzen unseres Denkens richtig gebildet sind, und wir sie durch unsere Handlungen richtig in die Wirklichkeit wieder zurück . zu übersetzen vermögen , sind die Vorstellungen , welche wir haben, auch für unser Denkvermögen die einzig wahren. Helmholtz. Alle Beohte vorbehalten. Oopyright, 1914, by Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, Germany. BL Wl. R VORWORT. Im vorliegenden kleinen Buche wird die Frage nach der Natur unseres Baumes behandelt Erkenntnistheoretische Ansichten, die im Wesentlichen von Mathematikern und Physikern begründet worden sind (ich nenne Gauß, ßie- mann, Helmholt z) und auch heute noch unter diesen in Ansehen stehen, werden neu dargelegt und gegen eine Keihe philosophischer Angriffe verteidigt. Die große Bedeutung des Baumproblems, von dessen wie immer gestalteter Lösung ja die Bewertung der gesamten theoretischen Physik ab- hängt, hat daraus eine Art von Prüfstein verschiedener Weltanschauungen werden lassen. Ich habe mich bemüht, in diesem Widerstreit der Geister das Gewicht meiner Wissen- schaft, der Mathematik, zur vollen Geltung zu bringen i). Der Nichtfachmann wird ein solches Unternehmen dem Mathematiker in der Regel wohl nicht verdenken. Dagegen muß ich fürchten, oder ich weiß es vielmehr schon, nicht nur daß Manche unter meinen eigenen Fachgenossen an gewissen Einzelheiten Anstoß nehmen werden (Beurteilung der ^) Eine ähnliche Tendenz hat schon die bekannte Schrift von B. Erdmann: Die Axiome der Geometrie (Leipzig 1877). Diese Arbeit ist heute veraltet. Auf die hier vorgetragene Behandlung des Stoffes hat sie keinen Einfluß geübt. Ich will aber nicht unterlassen, hinzuzufügen, daß ich die sehr abfällige Beurteilung, die sie zur Zeit ihres Erscheinens seitens verschiedener Mathematiker gefunden hat, keineswegs für. gerechtfertigt halten kann. 779626 VI Vorwort. Axiomatik im Schlußkapitel), sondern auch, daß Einige wohl an der ganzen Tendenz dieser meiner Schrift keine sonder- liche Freude haben werden. Wo es sich um Weltanschauungen handelt, da pflegen Gründe stumpfe Waffen zu sein, und wenn sie gar einer so unbeliebten Wissenschaft wie der Mathematik entlehnt sind, so müssen sie erst recht wirkungslos zu Boden fallen. Also, sagt ein wohlmeinender Freund, lasse Du die Anderen reden und verwende Deine Zeit besser. Außerdem — wird yielleicht ein Zweiter sagen — ist das bescheidene Dunkel, in dem unsere Wissenschaft blüht und gedeiht, doch nur ein Glück für sie. Wehe Denen, die sie in den Strudel der Tagesmeinungen hineinziehen 1 Die letzte Ansicht teile ich durchaus. Indessen scheint es mir, daß es sich hier nicht gerade um Tagesmeinungen handelt, und außerdem glaube ich, daß es für den Mathe- matiker selbst nicht gut ist, wenn er, wie so oft, auf seinem Piedestal der reinen Logik abseits steht und den großen Problemen der Kultur Interesse und Mitarbeit yersagt In diesem Sinne habe ich bei Abfassung meiner Schrift, die sonst Fachgenossen nicht yiel bieten kann, doch auch an sie gedacht. Dem Hineinredenwollen Unberufener aber konnte einigermaßen vorgebeugt werden durch gewisse Warnungstafeln. Eine von diesen soll früher den Tempel der Philosophie geziert haben, ist aber schon längst von dort entfernt und auf den Schutthaufen geworfen worden. Ich meinte ihr ein bescheidenes Plätzchen auf meinem Titelblatt gönnen zu dürfen. Dem erwähnten Freunde aber antworte ich Folgendes: Ich bilde mir nicht ein, leisten zu können, was ein Helmholtz nicht zustande gebracht hat, gebe mich nicht der Täuschung hin, ich könnte Gegner überzeugen. Ich rede vielmehr zu einer Generation, die ihr Weltbild sich Vorwort. VII erst formen wUl, und der ich Irrwege ersparen möchte. Welches aber die Weltanschauung eines Forschers sei, der sich nicht an eng umschriebene Spezialgebiete hält, ist mit nichten gleichgültig. Sogar für die Beurteilung mathematischer Untersuchungen können erkenntnistheoretische Gesichtspunkte in Betracht kommen. Ganz und gar nicht einerlei ist es aber z. B., ob ein Naturforscher die Ansichten des Jesuiten- paters Wasmann hat, der sich der Kritik eines Bischofs unterwirft, oder ob er einen anderen Standpunkt einnimmt. Ich teile durchaus die Meinung derer, die glauben, daß Galilei und Newton, Darwin und Helmholtz ihre Ent- deckungen nicht hätten machen können, wenn sie nicht, in ihrer Forschertätigkeit, durch und durch Bealisten gewesen wären. Ihre Erfolge nimmt der Realismus auch als seine Erfolge in Anspruch, und er hat ein Recht dazu. In dem Buche eines früh verstorbenen hochbegabten Geologen, Melchior Neumayr, findet sich eine Bemerkung, die hierher zusetzen ich mir nicht versagen will: „Es ist eine merkwürdige, sich immer wiederholende Erscheinung in der Geschichte der Wissenschaft: Eine neue und richtige Auffassung, die sich nicht auf neues handgreif- liches Material von Tatsachen, sondern auf eine bessere Deutung schon bekannter Beobachtungen stützt, gelangt nicht dadurch zur allgemeinen Annahme, daß die Gegner durch die Macht der Gründe widerlegt und überzeugt werden, sondern dadurch, daß dieselben aussterben und die junge Generation die neue Theorie als selbstverständlich annimmt, so daß eine solche in der Regel ein Menschenalter braucht, um sich Eingang zu verschaffen.^ Dieser jungen Generation also, der die Zukunft gehört, ist die vorliegende Schrift gewidmet Daß in dem Falle, um den es sich handelt, ein Menschenalter noch nicht ausreichend war, hatte übrigens seine Gründe. Vm Vorwort. Man weiß, was Gauß davon abgehalten hat, gewisse Unter- suchungen vor die Öffentlichkeit zu bringen. Statt einer vielfach in den Vordergrund gestellten histori- schen Betrachtungsweise wird man hier, als Bahmen zur Theorie des Raumproblems, Erörterungen über die Grundsätze naturwissenschaftlicher Forschung, ins- besondere über das Wesen der Hypothesen finden. Historisches wird nur berührt, wo es der Sache dienlich schien. Auf die Geschichte neuerer Theorien einzugehen, war kein Anlaß, es gibt darüber Literatur genug. In bezug auf die Meinungen älterer Philosophen mag auf einen Vor- trag verwiesen werden, dessen Inhalt mir auch einige im Text verwertete Anregungen geboten hat (R. Herbertz, Die Philosophie des Raumes, Stuttgart 1912). Ich finde an dieser sehr reizvollen kleinen Schrift nur den Schluß bedenklich, der eine auf offenbarem Mißverständnis beruhende Polemik enthält. Die neuerdings wieder viel erörterte Frage nach der „Existenz" oder „Nichtexistenz*^, besser Nachweisbarkeit oder Unerkennbarkeit eines absoluten Raumes im Sinne von Newton gehört mehr in die Physik als in die Raum- lehre. Auf diese Kontroverse, die unlängst eine so über- raschende Wendung genommen hat, bin ich nicht eingegangen. Eben darum sei hier bemerkt, daß eine neuere Ansicht, die Längenmaße und Zeitmaß koordiniert, damit nicht etwa die ältere Raumlehre über den Haufen wirft, wie es vielleicht hier und da den Anschein haben mag. Die neue Theorie, deren Begründung durch die Experimente von Michelson und Bucherer ja gesichert zu sein scheint, beruht vielmehr ganz und gar auf der alten Euklidischen Geometrie im drei- dimensionalen Räume. Diese geometrische Disziplin ist sowohl ein integrierender Bestandteil der neuen Theorie, als auch für ihren Aufbau ein unvermeidlicher Durchgangspunkt. 2 3 3 1 r Vorwort. IX Wenigstens gilt das, wenn man induktiv zn Werke geht, nicht, nach modern-mathematischem Ideal, Alles axiomatisch vom Himmel fallen lassen will, was post festum allerdings möglich, dem Geiste der Physik aber ganz zuwider ist. In der ursprünglichen Form der Eontraktionshypothese von Fitzgerald und Lorentz wird sogar die neue Theorie un- mittelbar in die alte eingebaut. Müssen also „Raum für sich« und „Zeit für sich*^ zu Schatten verblassen, so führt der Weg zur Physik der Zukunft notwendigerweise durch ein solches Schattenland. Daß aber dieses den Namen der Euklidischen Geometrie führen wird, scheint nicht ganz sicher. Das Minkowskische Weltbild ist ein Grenzfall, auf ähnliche Art, wie die Euklidische Geometrie Grenzfall der Nicht- Euklidischen ist. Bei Abfassung des vorliegenden Buches bin ich durch Kritik und sonstigen guten Rat von Freunden und Kollegen vielfach unterstützt worden. Ihnen allen spreche ich meinen herzlichsten Dank aus. Bonn, im September 1913. E. Study. INHALT. Seite Einleitung 1 I. Das realiBtische Weltbild 6 n. Die Ge^er desEealismus : Idealisten, Positiyisten und Pragma- tisten 23 HL Die natürliche Geometrie 57 lY. Die idealiBtische Baumtheorie 63 y. Die realistische Auffassung des Baumproblems. Ansatz zur Lösung 74 YI. Erster Schritt der Hypothesenbildung 93 VlL Geodätische und astronomische Messungen 97 YIII. Zweiter Schritt der H^^thesenbildung 103 IX. Besprechung von Einwänden. Pragmatistische und positivi- stische Ansichten des Baumproblems 113 X. Die Axiomatik in der Geometrie 125 Autorenregister 141 Sachregister 143 • • • • ••••• •• • • • ••• o*. •"• • • • • ••• • • • • . »'r • .- • ••• • •••••• "•••«• •••*• Einleitung. Zu einer wisBenscbaftlichen Beschreibung des Raumes, in dem wir leben, gebort Mathematik, und um diese anwenden zu können, muß man gewisse Annahmen machen. Wie man nun zu solchen Voraussetzungen kommt, die der Lehre von unserem Räume und somit der theoretischen Physik zugrunde liegen, welches Ver- trauen man in diesen Unterbau setzen und demnach den darauf errichteten Strukturen höchstens entgegenbringen darf, ob es sich z. B. um Hypothesen handelt oder um Behauptungen, die bewiesen werden können und müssen, das sind Fragen der Erkenntnistheorie, die, als „Raumproblem'' zusammengefaßt, uns beschäftigen sollen. ^ Dieses Problem hat gewiß eine große Bedeutung, und, ab- gesehen von Einzelheiten der mathematischen Bearbeitung, muß es wohl jeden nachdenklich veranlagten Menschen interessieren. Wir finden uns in ein unfaßbar Großes hineingestellt, den grenzen- losen Sternenraum mit seiner vielleicht unermeßlichen Zahl leuch- tender Himmelskörper. Wir vernehmen mit Staunen und leisem Grauen vom Aufflammen und Verglühen neuer Sterne in Regionen des Raumes, die so weit entfernt sind, daß, wie es heißt, das Licht viele Jahre braucht, um zu uns zu gelangen. Man sagt uns aber, daß diese Körper aus denselben Stoffen bestehen, die wir auf unserer Erde finden, und daß auch in jenen fernen Regionen noch dieselben Gesetze gelten, die Menschen aus einem viel engeren Kreise von Erfahrungen abgeleitet haben. Was ist dieser rätsel- hafte Raum, woher stammt uns seine Kenntnis, wie sollen wir ihn, wie sollen wir das Ungeheure erfassen mit unserem schwachen InteUekt? So hat, seit über das Alltägliche Menschen sich zu wundem begannen, dieses Problem die Aufmerksamkeit denkender Geister auf sich gezogen. Es hat von Alters her den Gegenstand von Kontroversen gebildet. Eine lebhaftere Wendung hat sodann study, BealiBtieche Weltansicht. ^ • • • 2- ••'•.••o'-:: : .•. ' '• Einleitung. diese Frage in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts ge- nommen, als die Nicht-Euklidische Geometrie hekannt wurde. Es ist darüher ein grimmer männermordender Streit entstanden, in dem gewisse Philosophen, besonders solche aus der Schule Kants, Vertretern der exakten Wissenschaften gegenüberstehen. In der wohl letzten Phase dieses Kampfes befinden wir uns heute. Daß in solchem Eingen verschieden veranlagter Geister die Siegesgöttin nicht jenen Philosophen zulächelt, kann dem kaum zweifelhaft sein, der sich auf die Zeichen der Zeit versteht. Ihre Partei ist stark zusammengeschmolzen. Das ganz grobe Geschütz, die Behauptung von der Widersinnigkeit aller sogenannten Meta- geometrie, hat man in die Rumpelkammer verweisen müssen ^). Da- für hat man aus dieser seltsame verrostete Waffen hervorgeholt, mit denen der nun schon aufgebotene Landsturm einherzieht. Aber nun ist etwas Merkwürdiges geschehen. Im empiristi- schen Lager selbst ist ein Zwist ausgebrochen, und ein kleines Häuflein geht mit fliegendem Banner zum Feinde über, dessen Sache schon so gut wie verloren war. Die Ansichten, zu denen sich Gauß , Eiem a n n und Helmh ol tz bekannt haben, und die nach der Meinung der meisten Sachverständigen in allen Hauptpunkten die zurzeit allein annehmbare, vielleicht auch definitive Lösung unseres erkenntnistheoretischen Problems enthalten, werden von H. Poincare nicht gutgeheißen und sogar recht abfällig beurteilt. Das Ergebnis, bei dem dieser Kritiker anlangt, ist aber, wenigstens äußerlich betrachtet, genau dasselbe, zu dem, freilich auf sehr verschiedenem Wege, auch die vorhin genannten Philosophen kommen: „Unserem Eaume muß die Struktur des Euklidischen Systems zugeschrieben werden." Man wird den Freudenschrei ver- stehen, der aus dem feindlichen Feldlager herübertönt Aber viel- leicht hat man sich dort zu früh gefreut. Wie man sieht, gehört der Verfasser nicht zu den Eklektikern und Propheten der goldenen Mittelstraße — A. hat recht, und B., der das Gegenteil sagt, hat im Grunde ebenfalls recht — wie könnten auch zwei so kluge Leute nicht recht haben ? — , sondern er ist für einen frischen fröhlichen Krieg. Und einen kleinen Krieg gilt es auch noch nach anderer Seite hin zu führen. ^) Metageometrie ist ein unseres Wissens ausschließlich in der philosophischen Literatur vorkommendes Wort für das, was die Mathe- matiker Nicht-£uklidische Geometrie nennen. Einleitung. 3 Während die soeben genannten Forseber, die sämtlicb zu den Korypbäen der exakten Wissenscbaften zäblen, alle erkenntnistbeoretiscbe Interessen betätigt haben, während be- sonders Helmholtz immer wieder auf die Grundfragen der Er- kelintnistheorie zurückkam , scheinen diese Probleme einem Teil der modernen Mathematiker, insbesondere vielen von Denen, die über Geometrie schreiben, herzlich gleichgültig geworden zu sein. Wohl bedient man sich noch erkenntnistheoretischer Ausgangs- punkte und Argumente, aber man scheint damit nur das einzige Interesse zu verfolgen, mathematische Probleme, die im Grunde um ihrer selbst willen behandelt werden, in ein möglichst vorteilhaftes Licht zu rücken. Man hätte wohl besser getan, sich diese Mühe zu sparen, denn die erkenntnistheoretischen Ansichten, die bei solcher Gelegenheit zum Vorschein kommen, sind wenig geklärt, und Widersprüche, die zwischen ihnen bestehen, hat man nicht einmal bemerkt. Ein Autor geht von der Erfahrung aus und will aus ihr „rein deduktiv" ein mathematisches System ab- leiten ; ein zweiter glaubt sich mit dem ersten in Übereinstimmung, wenn er eine nicht weiter beschriebene, ihrem Inhalt nach un- deutliche „Eauman schauung" zum Ausgangspunkt nimmt; ein dritter will eben diese Anschauung, wie er sich kurz, aber nicht verständlich ausdrückt, einer „logischen Analyse" unterziehen, analysiert jedoch in Wirklichkeit etwas anderes; ein vierter, und zwar — gleich den vorigen — sehr namhafter Autor produziert endlich gar eine „empirisch gegebene Eaumanschauung". Er scheint zu glauben, daß Jeder sich dabei etwas Vernünftiges denken kann und wohl sogar denken muß. Kurz, man befindet sich in einem paradiesischen Zustand erkenntnistheoretischer Un- schuld, und das ist nicht ganz gleichgültig, denn diese naiven Ansichten verwandeln sich im Handumdrehen in Werturteile von ziemlicher Tragweite. Man macht autoritative Vorschriften dar- über, wie Geometrie begründet und betrieben werden soll, und stemmt sich damit, durchaus nicht ohne Erfolg, der Entwickelung entgegen, die diese wichtige mathematische Disziplin im letzten Jahrhundert genommen hat. Man sucht ihr durch Beiseiteschieben anders gearteter Tendenzen den Stempel des eigenen, vorzugs- weise auf das Logische gerichteten Geistes aufzudrücken. Mit einem Worte, man ist dogmatisch und engherzig geworden. Es ist aber gegenüber solcher Einseitigkeit darauf hinzuweisen, daß 1* 4 Einleitung. in der Geometrie wie in anderen mathematischen Disziplinen die fruchtbaren Gedanken keineswegs einer gewiß unentbehrlichen scharfen Dialektik, sondern der frei schaffenden Phantasie ent- stammen. Ferner wird zu beachten sein, daß es auch noch andere als logische Schwierigkeiten gibt (in deren Überwindung allen und jeden Fortschritt zu suchen der moderne Mathematiker nur gar zu geneigt ist). Will der Mathematiker sich mit Erkenntnis- theorie beschäftigen, was er meistens gar nicht nötig hat, so wird er gut tun, dem Umstand Beachtung zu schenken, daß Denker wie Kant, Helmholtz und E. Mach zu weit auseinandergehen- den Anschauungen gekommen sind. Es müssen also da wohl Schwierigkeiten vorhanden sein, und schwerlich werden sie allein oder hauptsächlich im Gebiete der Logik gesucht werden dürfen. Diese ist unfähig, Gründe gegeneinander abzuwägen, die samt und sonders nicht zwingend sind, und gerade in solchen Fällen ist bekanntlich subtiler Scharfsinn der schlechteste Berater. Die heute wie früher ablehnende Haltung vieler Naturforscher gegenüber aller Philosophie der Fachphilosophen können wir auch nicht für berechtigt ansehen. Zwar halten wir für sehr wohl begründet die Vorwürfe, die gegen eine rein-spekulative Rich- tung erhoben werden, es gibt aber doch auch Anderes. Manches hat zur Klärung gedient, und schließlich unterliegt die Natur- philosophie gewisser moderner Naturforscher ebenfalls schweren Bedenken. Und was würden wir nicht noch erleben, wenn nicht das in den Naturwissenschaften überwiegende Spezialistentum wenigstens die gute Seite hätte, so Manchen von erkenntnistheo- retischer Produktion fernzuhalten? Im folgenden Abschnitt I wird man einen Versuch finden, kurz und zugleich in gemeinverständlicher Sprache die Welt- anschauung theoretisch zu begründen, die in der Betätigung nicht nur der meisten Naturforscher, sondern auch vieler Vertreter der Geisteswissenschaften zu praktischem Ausdruck kommt. Es ist die realistische Weltansicht. Wir suchen sie zu verteidigen, nicht nur gegen Angriffe gewisser Philosophen , die ihr Wissen- schaftlichkeit absprechen wollen, sondern auch gegen eine viel- leicht noch gefährlichere Opposition, die aus dem naturwissen- schaftlichen Lager selbst hervorgegangen ist. Ob das gelungen sein wird auf einem Gebiete, in dem — wie man gesagt hat — es schwierig ist, auch nur sich selbst zu verstehen, werden Andere Emleitung. 5 zu beurteilen haben. Der Versuch als solcher aber kann bei der gegenwärtigen Sachlage kaum als überflüssig betrachtet werden, obgleich Schriften vorhanden sind, die auf andere Art Ähnliches zu erreichen suchen^). Jedenfalls darf eine solche Erörterung hier nicht wohl fehlen, da Berechtigung oder Wert der zu bildenden Hypothesen bestritten werden kann, wenn man — wie es ge- schieht — die Hypothesen überhaupt angreift oder sie grundsätzlich niedrig bewertet. ^) Literaturangaben folgen weiterhin. Außerdem, und vor AUem, sei hier nocli auf die Populären Schriften yon Fr. Boltz- mann yerwiesen (Leipzig 1905), imter denen hier besonders die Artikel 5, 8, 10, 12 in Betracht kommen. Zu seinem lebhaften Be- dauern hat der Verfasser diese temperamentvollen und anregenden Aufsätze erst konsultiert, als der Druck des vorliegenden Buches schon ziemlich weit fortgeschritten war und Beruf sgeschäfte einer genügenden Würdigung des Lihalts jener Schriften im Wege standen. I. Das realistische Weltbild. Unwürdig einei wissenichaftlich sein wollenden Denkers iit ei, wenn er den hypotheüsohen Ursprung seiner Sfttse yergißt. Heimholte. Vom realistischen Standpunkt aus, den ja wohl heute wie früher die überwiegende Mehrzahl der Naturforscher einnimmt, muß man dem Räume der Eörperwelt eine vom erkennenden Subjekt unabhängige Existenz zuschreiben. Wir reden von unserem Räume, vom Räume, in dem wir leben, vom empirischen Räume, ohne sagen zu können, was dieses Raum genannte Ding denn eigentlich ist. Wir müssen es als gegeben betrachten, wie noch so Manches, was wir ebensowohl vorfinden und ebensowenig defi- nieren, d. h. rein logisch erklären können. Wir sagen, daß Körper darinnen sind und daß Naturvorgänge sich darin abspielen, räumen aber sogleich ein, daß das Alles auch hinweggedacht werden kann. Daß nach dem als Denkmöglichkeit bestehenden Verschwinden alles Rauminhalts noch etwas übrig bleiben würde, nehmen wir an, und wir müssen es annehmen. Dieses Etwas eben, im Bilde die „Form", in der die Dinge sind, ro xsvoVj „das Leere« der griechischen Atomisten, nennen wir in unserer Sprache Raum. Wir gelangen also zu diesem Räume oder vielmehr zu unserem Begriff von ihm durch Abstraktion. Wenn wir aber dann seine Dimensionen anstaunen, so bilden wir — die Realisten — uns nicht ein, daß der Menschengeist so Gewaltiges hätte schaffen können. Wir beklagen vielmehr die Unzulänglichkeit einer Ein- bildungskraft, die der Größe ihres Gegenstandes nicht gewachsen ist. Denn wir halten diesen unseren Raum eben nicht für ein bloßes Gedankending, sondern wir betrachten ihn als objektiv vor- handen, als real. Wir können ihn allerdings nicht sehen noch fühlen noch vorstellen, sondern nur einiges Wenige von Dem, was in ihm ist. Dennoch halten wir diesen Raum für real, für ebenso I. Das realistische Weltbild. 7 real oder wirklich^), wie die Körper und Naturvorgänge selbst, freilich ausgestattet mit einer Realität 8ui gener is, mit einer Art von (sogenannter transzendenter) Realität, die nicht nur völlig verschieden ist von der Realität unserer Gedanken oder unseres Fühlens und WoUens, sondern auch sehr verschieden von der ihr näher verwandten Realität der Körper oder der Lichterregungen z. B., die wir ebenfalls für real, wirklich, für nicht bloß in unserer Einbildung vorhanden ansehen. Wir, nämlich wieder die Realisten, haben auch Objektivität genug, um überzeugt zu sein, daß dieser Raum nebst Allem, was darinnen ist, fröhlich weiter existiert, wenn die Parze uns selbst den Lebensfaden abschneidet und wir unsere klugen Gedanken darüber nicht mehr weiter- spinnen können. Wir betrachten das als so gewiß, wie nur etwas gewiß sein kann, was nicht Mathematik ist. Trotzdem geben wir auf Verlangen freundlich zu, daß das im Grunde alles Hypothesen sind; wie es z. B. auch eine Hypo- these ist, daß unsere lieben Mitmenschen existieren, darunter unsere verehrten Gegner, die Idealisten, Positivisten und Pragma- tisten, mit denen wir uns noch auseinanderzusetzen haben werden. Nur halten wir diese Hypothesen, gleich manchen anderen, für wohlbegründet und sogar für schlechthin notwendig, dem Um- stand zum Trotz, daß der sogenannte Solipsist sie bestreitet, und mit ihnen Alles was daraus folgt, ausgenommen seine eigene selt- same Existenz. Die Weltanschauung des Realismus, auf die wir Bezug genommen haben, ist also eine Hypothese oder ein Inbegriff von Hjrpothesen, es läßt sich nicht leugnen. Ob ihr aber damit das ^) Helmholtz Daunte wirklich, was hinter dem "Wechsel der Erscheinungen stehend auf uns „einwirkt". Diese Wirklichkeit ist also hypothetisch und transzendent, ohne daß doch alles Transzendente auch „wirklich" sein müßte. Dagegen erklärt Külpe als "Wirklichkeit das im Bewußtsein Gegebene — Empfindungen, Gefühle, "Vorstellungen, Gedanken. Hier steht das „Wirkliche* im Gegensatz zum Transzendenten. Nach beiden Definitionen würde der Baum, in dem wir sind, wohl real, nicht aber „wirklich" genannt werden dürfen. — Der vorherrschende Sprachgebrauch behandelt die Worte Wirklichkeit, Realität, Existenz als Synonyma. So geschieht es auch hier. Ich versuche nicht, diesen Begriff zu erklären, sondern nur ihn aufzuklären, nämlich seinen Inhalt durch "Verweisung auf Jedem geläufige Gegen- stände deutlich zu machen. 3 I. Das realiftische Weltbild. Urteil gesprochen sein wird, hängt davon ab, wie man überhaupt zu den Hypothesen steht. Außerdem wird sich die Bemerkung schwer abweisen lassen, daß entgegenstehende Ansichten ebenfalls, und zwar notwendigerweise, den Charakter von Hypothesen haben, sofern sie es nicht vorziehen, geradezu im Gewand von „Forde- rungen" oder „Prinzipen**, mithin als Dogmen aufzutreten. So sehen wir uns veranlaßt, in eine Untersuchung über Wesen und Bedeutung wissenschaftlicher Hypothesen einzutreten^). Die realistische Hypothese, mit der wir uns zunächst be- schäftigen wollen, die Annahme der Existenz einer vom er- kennenden Subjekt unabhängigen Außenwelt, gehört wohl sogar zu denen, die auf ewig verdammt sind, Hypothesen zu bleiben. Trotzdem wird sie, bewußt oder unbewußt, von allen zur An- wendung gebracht) sogar — und das ist besonders be- merkenswert — von ihren entschiedensten Gegnern. Sie bestimmt nämlich das Tun der Menschen nicht nur, sondern auch der höheren Tiere. Im Leben sind wir Alle Realisten, wie wir uns auch stellen mögen, und sind wir es einmal nicht, so werden wir dafür gestraft wie kleine Kinder. Die Welt selbst ist für uns die große Schule, in der wir, ohne Rücksicht auf die be- währten Grundsätze humaner Pädagogik, nämlich ohne jede Unterweisung, mit den einzigen Mitteln Erfahrung, Belohnung und Strafe, zu Realisten erzogen werden. Erfahrung belehrt den Hund, daß hinter dem Spiegel Nichts ist, durch Erfahrung lernt ^) Man hat auf verschiedene Arten versucht, Hypothesen zu klassifizieren. Eine solche Klassifikation ist aber für unseren Zweck nicht nötig. Der Verfasser kann auch die ihm bekannten Versuche derart nicht als ganz gelungen ansehen. Vielleicht ist es zweckmäßig, schon hier der unter Vertretern der exakten Wissenschaften verbreiteten Meinung zu widersprechen, eine „gute** Hypothese (gut im Gegensatz zu „metaphysischen" Hypothesen, wie der Idee eines Weltanfangs, eines persönlichen Schöpfers, einer Fortdauer nach dem Tode) müsse sich in der Erfahrung bewähren können. Keine Erfahrung kann je bestätigen, daß die Pterodaktylier fliegende Tiere waren, und doch ist das eine der bestfundierten Hypo- thesen, die es gibt. Auch enthält der Satz: ^Der Amphioxus ist der ehrwürdige Stammvater des Menschengeschlechts" zwar sicher eine sehr schlechte, aber, nach dem vorherrschenden Sprachgebrauch, doch nicht gerade metaphysische Hypothese. Wir werden überhaupt nicht von Metaphysik reden, da dieses Wort zufolge unerhörten Mißbrauchs einen so bedenklichen Beigeschmack bekommen hat. I. Das realistiBche Weltbild. 9 das Hühnchen, was gut schmeckt , und durch Schaden lernt das Kind, das Feuer zu meiden. Wir sind aber meistens recht willige Schüler, und alle versuchen wir, wie es von uns verlangt wird, unsere Gedanken den Tatsachen anzupassen und unser Wollen in den Schranken des Möglichen zu halten. Wir bemühen uns, durch Erraten die Sprache der Erscheinungen zu verstehen, wie wir einst als Kinder den Sinn der gesprochenen Sprache erraten und schließlich verstanden haben. Wir müßten ja zugrunde gehen, täten wir es nicht. Und alle führen wir dieses Gleiche auf die gleiche Weise aus: Ein jeder sucht hinter der Er- scheinung unabänderlich, in jedem einzelnen Falle, das Ding. Er bearbeitet die Erscheinung mit seinem Verstände, den er gerade dazu hat. Er sucht seine persönliche Zutat von ihr abzuziehen, und er wundert sich, wenn — im Falle des Traumes oder der Halluzination — es ihm ausnahmsweise einmal so vor- kommt, als ob Nichts übrig bliebe. Ist ihm die Gabe der Rede verliehen, so redet er dann von Irrtum, Täuschung, Gaukelspiel der Sinne. Wo aber etwas übrig zu bleiben scheint, da denkt er sich ausnahmslos ein Ding hinzu. Ein Jeder erfindet sich so, nach Vermögen, gleich eine ganze Welt, eine Welt der Dinge, die er freihalten will von Träumen und Halluzinationen, von Trug- bildern und Irrtum, die er weiterbestehen läßt, auch wenn er schläft und gar nichts von ihr bemerkt, von der er annimmt, daß sie vor ihm war und nach ihm sein wird. Er glaubt auch, daß diese Welt und diese Dinge und sogar noch andere Dinge, fremde Länder und nie gesehene Sterne z. B., wirklich da sind, wenn auch wohl nicht gerade so, wie er sie sich vielleicht ausgemalt haben wird. Ein Jeder sucht seine Dinge, deren manche ihm einiger- maßen beständig zu sein scheinen, wiederzuerkennen, er sucht hinter verschiedenen Erscheinungen „dasselbe" Ding. Er sucht den geheimnisvollen Zusammenhang dieser seiner Dinge zu er- gründen und seine Begriffe und Gedankenbüder von ihnen zu ver- bessern, er fügt zur großen Kardinalhypothese des BeaJismus noch unzählige kleinere Hypothesen, kluge und törichte, und er versucht auf diese merkwürdige Weise, das Primäre, Gegebene, die Er- scheinung, als ein nur für ihn Primäres, »in Wirklichkeit" — wie er sich ausdrückt, oder wie es ihm scheint — Abgeleitetes zu begreifen. Er mag dabei gewaltig fehlgreifen, z. B. wenn er eine Lokomotive für ein beseeltes Ungeheuer oder eine Flug- 10 I. Das realistische Weitbild. maschine für einen Vogel ansieht. Aber immer erkennt er diese sich ihm unabweisbar aufdrängende Wirklichkeit, die Welt der Dinge, als eine höhere Instanz an, und unablässig sucht er ihre Entscheidungen zu verstehen, deren Gründe ihm niemals mit- geteilt werden. So unternimmt er das Erstaunliche, ein Ver- trautes, die Erscheinung, aus einem Fremden, Unbekannten ab- zuleiten. Zu diesem Zwecke bringt er sein Ich, als ein eigens dazu erfundenes besonderes Ding, in Gegensatz zu anderen Dingen, den Dingen außer ihm, und erst aus dem Zusammentreffen des Ich mit den äußeren Dingen läßt er in seinen Gedanken die Erscheinung hervorgehen. Unter den äußeren Dingen findet er, unlösbar mit dem Ich verbunden und seinen Willensimpulsen folgend, den eigenen Körper. Femer findet er unter ihnen, auf Grund eines gewöhnlich im Unbewußten verlaufenden, aber doch das Tageslicht vertragenden Analogieschlusses, andere dem eigenen Ich ähnliche Iche, und er läßt sie den für sie äußeren Dingen, darunter seinem Ich, ebenso gegenüberstehen, wie er selbst seinen äußeren Dingen und ihren Ichen gegenübersteht. Er verfolgt sie zuweilen auf ihren Wegen im Räume und durch ihre Wandlungen in der Zeit, er faßt Zuneigungen zu ihnen oder Ab- neigungen gegen sie, und er findet, wieder durch Analogieschlüsse, daß andere Iche in bezug auf sein Ich das Gleiche tun. Ja er unternimmt es unter Umständen, die anderen Iche nach dem eigenen Ich zu modeln, in der Familie durch Erziehung, im Staate durch Schulen und Strafgesetzbücher. Vielleicht tötet er sie, viel- leicht verspeist er sie, oder er sperrt sie unter Umständen ins Gefängnis oder ins Irrenhaus, und auch auf diese etwas drastische Weise erkennt er ihre Iche als seinem Ich fremde Existenzen an. Und so sonderbar und befremdlich alles Das vielleicht einem Geiste erscheinen würde, der als unbeteiligter Zuschauer in das Innere eines einzelnen Menschen und nur in dieses blicken könnte, so erstaunlich es auch uns wird, sobald wir uns auf uns selbst besinnen, so vollzieht es dennoch ein Jeder, ohne irgend eine Aus- nahme, ganz instinktiv, von klein auf, ohne Zaudern und ohne viel Nachdenken. Keine Philosophie, nicht einmal die eigene, wenn er eine hat, ist überzeugend genug, um ihn von dieser Praxis abzubringen, keine noch so scharfsinnig erklügelte Dialektik kann ihn in seinem Glauben an die Welt der Dinge auch nur für einen einzigen Augenblick irre machen. So I. Das realistische Weltbild. 11 braucht er sich auch nicht des sehr guten, eminent prak- tischen Grundes bewußt zu werden, der sich für solches Tun an- geben läßt. Dieser ist, daß es durchaus nicht gelingen will, un- mittelbar, ohne solche wenn auch noch so unvollkommene und fluktuierende Hilfskonstruktionen der Phantasie und des Ver- standes, aus den Erscheinungen, besonders auch aus denen der anderen Iche, brauchbare Motive des Handelns, des Eeagierens auf die Erscheinungen abzuleiten. Es ist das Verschwinden und die vielfach sogar annähernd periodische (tägliche) Wiederkehr derselben oder ganz ähnlicher Erscheinungen und die sonst un- verständliche Gesetzmäßigkeit und Unabhängigkeit dieses Phänomens von unserem Willen, was uns hindert, die Erscheinungen als reine Produkte unseres Geistes anzusehen. Es ist die Möglichkeit, die wir dennoch haben, einen Teil vom Inhalte der Erscheinungen willkürlich zu variieren, was uns die Annahme des Ich genannten Sonderdings und die Annahme des Nicht-Ich aufnötigt. Wir erkennen im Ich wie in der Außenwelt zwei, wenn auch nur annähernd ruhende Pole in der Erscheinungen Flucht. Die gleichzeitig sich aufdrängende Unbedeutendheit des Ich im Weltganzen aber ist das, was uns gebieterisch zwingt, der Außenwelt die größte Aufmerksam- keit zu schenken und unser Verhalten nach ihrer vermuteten Be- schaffenheit einzurichten. Es ist, wie wenn die Welt der Dinge als eine ungeheure Sphinx zu Gericht säße über uns, die wir vergeblich ihr Rätsel zu lösen suchen. Das Unmögliche verlangt sie nicht, wer aber gar zu schlecht rät, der wird in den Abgrund gestürzt, der wird zerrissen oder zermalmt. So lernen wir notgedrungen Alle, Hypothesen zu er- finden. Ein Mehr oder Minder von Gewandtheit darin garantiert uns, ceteris parihuSf ein Mehr oder Minder des Erfolgs. Ein möglichst hohes Maß von Erfahrung, Phantasie und Urteils- kraft in der Hypothesenbildung und von Schnelligkeit und Wage- mut im Ziehen der praktischen Konsequenzen verheißt uns Macht. Und umgekehrt messen wir die Treue der Bilder, die wir von jener Welt der Dinge oder von Teilen von ihr uns ausgemalt haben, am Erfolg. Bleibt dieser aus, so suchen wir bescheiden die Ursache in unserem Ungeschick, oder wir reden von einem unglücklichen Zufall; gehören wir zur liebenswürdigen Klasse der Weltverbesserer, so finden wir auch wohl die Dinge selbst un- 12 I- Bai realistische Weltbild. yemünftig eingerichtet. Niemals, niemals aber kommt ein un- befangener» d. h. nicht durch dialektischen Sport aus dem Geleise geratener Verstand auf die Idee, daß die Annahme seines Ich und seiner Außenwelt falsch sein könnte, und gar Keinem fällt ein , daß er bei grundsätzlich anderem Verhalten zu den Erscheinungen besser gefahren wäre. Niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, sieht die praktische Möglichkeit, ohne diese und unzählige andere Hypothesen leben zu können. Sollte aber dennoch Jemand toll genug sein, ein solches Gebaren an den Tag zu legen, so müßte man ihn in sicheren Gewahrsam bringen, um ihn vor SchHmmerem zu behüten. Einigen von uns, die Träumer und also keine sonderlich guten Schüler in der großen Wirklichkeitsschule sind, will es auch so vorkommen, als ob die Schatten der Platonischen Höhle leise zu reden begännen und freundlich und bescheiden sagten: „Wir sind wirklich nur arme Schatten, und ihr, die ihr euch des Lebens freut, werdet von unserem Neben- und Nacheinander Nichts ver- stehen, wenn ihr uns nicht als das deutet, was wir sind.^ Aber das ist natürlich nur Einbildung, und kann keinen vernünftigen Menschen im Geringsten beeinflussen.. So häufen wir also Alle Hypothesen auf Hypothesen. Auf diese Weise verfährt der edle Mensch, der hilfreich und gut ist, wie auch der Verbrecher. So verfährt der Animist, dem alles beseelt ist, vom Botokuden bis zu Fechner und Schopenhauer so der Materialist, für den es keine „Seele*' gibt, so verfährt der Mönch und die Tänzerin, der Dichter oder Künstler nicht minder als der Banause. Und so verfährt auch das Tier; der Hund, der schweifwedelnd seinem Herrn Hut und Stock bringt, bildet wohl sogar psychologische Hypothesen. So verfahren wir gewöhnlich, viele von uns auch immer, ohne daß die Hypothesenbildung als besonderer Denkakt oder gar dessen dunkles Grundmotiv, der Trieb zum Leben und der Wille zur Macht, uns ins Bewußtsein träte. Ja, so geläufig ist uns dieser Prozeß, daß Viele von uns erstaunt sind und es durchaus nicht glauben wollen, wenn man ihnen sagt, daß sie von früh bis spät beschäftigt sind, Hypothesen zu büden oder Folgerungen aus ihnen zu ziehen und sie anzuwenden. Wir reden dann von praktischem oder naivem Eealismus. Der theoretische oder wissenschaftliche Realismus aber I. Das rBalistische Weltbild. 13 beruht auf der bewußten und planmäßigen, zugleich vor- und um- sichtigeren Ausübung desselben bewährten Denkprozesses und in seiner Anwendung auf die Erkenntnis um der Erkenntnis willen. Man könnte auch von einer Philosophie des gesunden Menschenverstandes sprechen, wenn es ratsam wäre, sich auf etwas zu berufen, was so selten ist und dazu in so geringem Ansehen steht. Charakteristisch für diesen theoretischen Eealismus ist also, daß eine grundsätzliche Verschieden- heit zwischen dem wissenschaftlichen Denken und dem des gemeinen Lebens nicht anerkannt und eine Ver- schiedenheit überhaupt nur in den Zielen und dem mehr oder minder systematischen Vorgehen gefunden wird. Es bestehen hiernach zwischen dem wissenschaftlichen und dem naiven Eealismus Unterschiede und Ähnlichkeiten. Der wissenschaftliche Realist unterscheidet sich vom naiven vor allem darin, daß er an dessen Leichtgläubigkeit nicht teilninmit. Er sucht sich Erfahrungen planmäßig zu ver- schaffen, und untersucht sorgfältig die Quellen, aus denen sie fließen. Er ist mißtrauisch gegen sich selbst wie gegen Andere, vertraut namentlich auch nicht dem Augenschein. Er hat sich durch Grründe überzeugen lassen, daß der Himmel kein Gewölbe und an sich nicht blau ist. Die Erfahrung von Generationen, die ihm durch Erziehung übermittelt worden ist, hat in ihm die Überzeugung vom Vorhandensein einer Gesetzlichkeit alles Geschehens hervorgerufen und befestigt, während der naive Realist an Derartiges nicht denkt. Der wissenschaftliche Realist hat auch gelernt, seinem Ich im Weltganzen einen bescheidenen Platz einzuräumen. Er ist ernsthaft darauf bedacht, sich nicht durch persönliches Glücksbedürfnis zu Selbsttäuschungen ver- leiten zu lassen, die ihm sein ohnehin unsicheres Bild der Wirk- lichkeit noch mehr fälschen würden. Überhaupt ist sein persön- licher Vorteil nicht das, was er sucht, und nicht einmal ein praktischer Nutzen für eine sogenannte Menschheit ist sein Ziel. Die Erkenntnis um ihrer selbst willen ist es, die ihn bewegt, und er weiß, daß die stolzesten Errungenschaften der modernen Technik oder Medizin ohne selbstlose Arbeit nicht möglich ge- wesen wären. Und auch darin unterscheidet sich der wissen- schaftliche Realist vom naiven, daß er im Eintreffen des erwarteten 14 !• Das realistische Weltbild. Erfolgs nicht ein untrügliches Zeichen für die Güte seiner Hypo- thesen erhlickt^). Der Vertreter der geschilderten Geistesrichtung gleicht aber dem naiven Realisten in anderer Hinsicht. Er hält auch in der Wissenschaft für erlaubt und sogar für not- wendig, was im Leben notwendig und also auch erlaubt ist. Er meint, daß, wenn es im Leben nicht gelingt, der Erscheinung direkt zu Leibe zu gehen, Ordnung und Sinn in die Schattenwelt der Platonischen Höhle zu bringen, es der Wissenschaft ebensowenig möglich sein wird. An Irrtum und Täuschung wird es trotz aller Vorsicht auch hier nicht fehlen. Aber ein Verzicht auf die be- währte Methode würde das bei weitem größere Übel sein 2). Der wissenschaftliche Realist kann daher vor Allem im Welt- verlauf kein „substratloses psychisches Geschehen" erblicken. Er muß ferner das Ideal einer „hypothesenreinen Wissenschaft" für ein komplettes Unding halten. Er meint da Hypothesen zu erkennen, und vielleicht sogar recht bedenkliche Hypothesen (sogenannte Energetik), wo andere — die sichPositivisten nennen — lediglich eine Beschreibung von Tatsachen zu liefern glauben (siehe Abschnitt 11). Er steht den Hypothesen oft ablehnend gegen- über, niemals aber verwirft er sie, weil es Hypothesen sind. Das Ding hinter der Erscheinung, das sogenannte Ding an sich, ist ihm, dem theoretischen Realisten, kein „unfruchtbares Hirn- gespinst". Er hält sich gegenwärtig, was Dinge und Hypothesen dem Forscher jederzeit gewesen sind s). Noch weniger vermag ^) Hierin unterscheidet sich der wissenschaftliche Eealist auch vom sogenannten Pragmatisten. Die philosophische Bichtung des Prag- matismus bat den naiven Kinderglauben an den Erfolg zum System erhoben, und von einer Erkenntnis um ihrer selbst willen mag sie überhaupt nichts wissen. Siehe Abschnitt II. ^) Die mit dem theoretischen Bealismus verbundenen Schwierig- keiten haben die Entstehung des weiterhin auch im Texte erwähnten Positivismus veranlaßt, der ein Versuch ist, solchen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Siehe Abschnitt II. 5) Bei Ostwald, Vorlesungen über Naturphilosophie (Leipzig 1902) liest man auf Seite 215, „daß ohne diese Hypothesen wahr- scheinlich von den Entdeckern mehr geleistet worden wäre". „Die Entdeckungen sind nicht durch die Hypothesen, sondern trotz der- selben gelungen, denn Entdeckungen gelingen immer nur durch Arbeit und nicht durch Vermutungen." Es vermag also Herr Ostwald — ein Chemiker I — nicht zu sehen, was beinahe jedem Schüler ein- I. Das realistische Weltbild. 15 der Eealist, vielleicht zufolge minderwertiger Einrichtung seines Gehirns, im Ding an sich „ein asylum ignorantiae^ , „ein hölzernes Eisen", „einen widerspruchsvollen Schulbegriff" zu erblicken. Auf die listige Frage seines Kritikers, was für ein Ding dieses Ding denn eigentlich ist, vermag der Realist freilich keine Antwort zu geben. Aber er ist auch nicht auf den Mund gefallen, und antwortet mit Gegenfragen: Ob man denn „weiß", was Elektri- zität ist, und ob man wohl auch dann mit ihr Maschinen treiben könnte, wenn sie widerspruchsvoll wäre oder aus sonst einem Grunde nicht „existierte"? Und ob das eine fruchtbare Philosophie sein kann, die mit spitzfindiger Dialektik das zu diskreditieren sucht, worauf seit den Tagen von Archimedes in Naturwissenschaften, Medizin und Technik jeder Fortschritt beruht? Was also das Ding an sich „ist" oder was die Dinge „sind", meinethalben auch was existieren heißt i) , bleibt im Dunkeln. Tita, morte e miracoU eines Heiligen zu kennen, ist nicht immer notwendig. Es darf im Dunkeln bleiben, weil es im Dunkeln bleiben muß. Weil die ganze Frage keinen Sinn hat. Weil die Dinge uns niemals mehr werden sein können, als was sie uns vielleicht einmal werden zeigen wollen. Der Realist wird es also dem Mystiker überlassen, Spekulationen über die natura rerum anzustellen und beispielsweise Menschliches, wie Willen und Gedächtnis, in alle Materie hineinzutragen. Sehr gut aber kann der Realist das sagen, worauf allein es ankommt; nämlich, was ihm seine Dinge sind, wozu er sie braucht« Sie sind unentbehrlich, weil es ohne sie keine Er- kenntnis gibt. Wo ein Blitz ist, da wirken „elektrische Kräfte", und wo eine Magnetnadel ohne sonst erkennbare Ursache ab- gelenkt wird, da wirken vermutlich ebensolche Kräfte. Im Nord- leuchtet, der einmal von der Entdeckung des Neptun etwas hat läuten hören: Daß fast alle fruchtbare Arbeit in den Naturwissenschaften durch Vermutungen veranlaßt worden ist. Es dürfte schwer sein, diesen Grad von dogmatischer Verblendung noch zu übertreffen. ^) "Was bei tiefsinnigen Untersuchungen über das „ Problem der Existenz" herauskommt, kann man in einem Buche des idealistischen Phüosophen P. Natorp erkennen, mit dem wir uns noch weiter zu beschäftigen haben werden. (Die logischen Grundlagen der exakten Naturwissenschaften, Leipzig 1910.) Dort liest man auf Seite 335: „Ist es denn so gewiß, daß die Existenz existiert?" Noch dazu in gesperrtem Druck! 16 I. Bas realistische Weltbild. licht und in der galvanischen Batterie, in den Hertz sehen Wellen und in der photographischen Platte findet der Physiker Daseins- bekundungen desselben Dings oder von Quanten dieses Dings, der Elektrizität. Solche Erkenntnis des Gleichartigen in der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen ist ihm sein Gewinn, und er braucht dazu nicht zu wissen, was Elektrizität „ist". WüJßte man es, kannte man alle ihre Eigenschaften, so wäre sie nicht mehr Gegenstand der Forschung. Wie man Telephone und elek- trische Ströme benutzt, um zwei Personen miteinander in Ver- bindung zu bringen, so braucht man Dinge und Hypothesen, um in logischem Denken von einer Erscheinung zur anderen zu kommen. Nach dem Schema: Person — Telephon — Leitung — Telephon — Person. Erscheinung — Ding — Hypothese — Ding — Erscheinung. Und Dinge wie Hypothesen erkennt der Realist als unver- meidliche Brücken zwischen den Erscheinungen, unbeirrt durch den Umstand, daß Andere solche Brücken für überflüssig und das ganze Verfahren für verkehrt halten. Denn ebenso brauchen, trotz ihres Widerspruchs, Dinge und Hypo- thesen auch die Gegner des Realismus, deren Gegner- schaft mithin an der wissenschaftlichen Praxis ganz von selbst zu Schanden wird. Wir können ja gar nicht aus der Wissenschaft einen Denkprozeß ausschalten, den wir tagtäglich anwenden müssen, um auch nur am Leben zu bleiben. Alle sogenannten Naturgesetze z. B. sind Hypothesen, die sich auf Dinge, und sogar auf Abstraktionen von Dingen, bloße Gedanken- dinge, nie unmittelbar auf Erscheinungen beziehen; wie könnte man ohne solche Gesetze auskommen? Wie kann man dem Physiker oder Chemiker zumuten wollen, sich auf ein Operieren mit dem Handgreiflichen zu beschränken, wo doch sogar der Umfang dieses Handgreiflichen von Tag zu Tag sich erweitert? Theorien zu entwickeln, die wahrscheinlich nur bis morgen würden leben können? Nicht in der Hypothese also, schließt der Realist, sondern nur in der unvorsichtig aufgestellten und kritiklos geglaubten Hypothese, sowie in der nicht zu Erkenntniszwecken, sondern zur Befriedigung von Herzenswünschen gebildeten und Nichts erklärenden Hypothese sitzt der Wurm des Verderbens. I. Das realistische Weltbild. 17 Innerhalb des Realismus sind natürlich noch allerlei Denk- weisen und Interessen möglich. Natur und Seelenleben, Tun und Torheit der Menschen, Religionen und philosophische Systeme können Objekte realistischer Betrachtung sein, und je nach dem Stoffe werden die Methoden verschieden ausfallen. Alle Quellenforschung der Philologen und Historiker ist realistisch, und kann als Muster realistischer Forschungsweise überhaupt dienen, da die Erscheinungen hier noch nicht so un- übersehbar verwickelt sind wie in Psychologie und Naturwissen- schaften. Als Realist behandelt der (nicht tendenziöse) Historiker auch die schwierigere Aufgabe, aus dem festgestellten Tatbestand die handelnden Charaktere und die Kulturzustände vergangener Zeiten zu erraten und so Einsicht in die bewegenden Kräfte des menschlichen Treibens zu gewinnen. Er bemüht sich, nicht An- schauungen seiner Zeit in andere Zeitalter hineinzutragen. Ohne Hypothesen kann er dabei nicht auskommen, wie ja schon die Annahme der einstigen Existenz eines Alexander oder Cäsar eine Hypothese ist (Külpe). Realistisch — was nicht dasselbe ist wie naturalistisch — ist auch jede gesunde Bildkunst und Dichtung; sie schildert und analysiert die uns umgebende Wirklichkeit, indem sie ein verein- fachtes Bild von ihr daneben stellt, wenn auch das nicht ihr einziger oder Hauptzweck ist: so wie Geschichtsforschung oder Naturwissenschaft eine andere Seite dieser selben Wirklichkeit auf andere Weise schildert, vereinfacht und analysiert. Wallensteins Lager und Don Quixote, der Zorn des Achilleus, aber auch die phantastischen Märchen von Tausend und einer Nacht, sie alle sind realistische Dichtungen, Shakespeare und Goethe, Thacke- ray und Carducci sind realistische Dichter gewesen, von einer gütigen Natur ausgestattet unter anderen reichen Gaben mit starkem Wirklichkeitssinn. Nach den Grundsätzen des Realismus verfährt der Unter- suchungsrichter , der einen Tatbestand oder die Motive eines Ver- brechens zu ermitteln sucht, der Staatsanwalt, der einen Indizien- beweis führt, der Geschworene, der ihn annimmt oder ablehnt. Anderenfalls empört sich jedes gesunde Gefühl; „es geht nicht mit rechten Dingen zu", man spricht von Justizmord und dergleichen. Auf allen Gebieten des Geisteslebens, die es nicht nur mit Gedanken oder Gefühlen, sondern mit der Er- st udy, Realistische Weltansicht; 9 18 !• Das realistische Weltbild. Bcheinungswelt zu tun haben, wird die realistischeDenk- weise wie etwasSelbstverständliches von Allen erwartet und praktisch anerkannt. Ihre größten Triumphe aber hat sie in den Naturwissenschaften gefeiert. Von Galilei rührt das Wort her, daß tausend Gründe nicht imstande sind, eine einzige Tatsache zu entkräften, und er hat seine Tatsachen gegen theo- logische und philosophische Anmaßung zum Siege geführt. Der realistische Naturforscher wird versuchen, von der Formulierung seiner Erkenntnis alles Persönliche, Nationale, ja spezifisch Menschliche nach Möglichkeit abzustreifen, er läßt sich auf die begreiflicherweise nie recht gelingende Unternehmung ein, die ihm wie allen Anderen tief im Blute sitzende anthro- pozentrische Weltansjcht loszuwerden. Die Welt der Dinge selbst ist es, die ihn interessiert, und er geht bei seiner Forschung auf das Allgemeine, Gesetzmäßige aus, im Gegensatz zum Historiker oder zum Dichter, der dem Individuellen, Einmaligen zu seinem unzweifelhaften menschlichen Rechte verhelfen will. Die Wellen- längen im Spektrum sind dem Physiker bedeutungsvoller als z. B. seine Rotempfindung. Die Empfindungen, die nicht alle Anderen ebenso zu haben brauchen, sind ihm Etiketten der Dinge, nicht umgekehrt. Er sucht das Subjekt auf das Weltganze, nicht das Weltganze auf das Subjekt zu beziehen. Die Tatsache, oder was er dafür hält, aber nie die nackte Zusammenhangs- und folgen- lose Tatsache (Hier ist Johann ohne Land vorübergegangen), kann dem einen als Experimentator oder bloßem Beobachter im Mittelpunkt des Interesses bleiben, es können aber auch Hypo- these und Theorie einem Anderen, der z. B. Mathematik auf Naturvorgänge anwendet, zur Hauptsache werden. Aber Respekt vor den Tatsachen muß der Realist immer haben, wenn er seinen Namen verdienen will. Keinem Dogma darf er Einfluß auf seine Forschung einräumen, deren Wesen auf der erfahrungs- mäßig begründeten Überzeugung vor der Gesetzlichkeit alles Ge- schehens beruht. Vor Allem darf er sich auch die Hypothese nicht zum Dogma werden lassen, darf er nicht an Tatsachen achtlos vorbeigehen, die zu seiner wie immer entstandenen Meinung nicht passen wollen. Die schönste Theorie wird er ablehnen müssen, wenn die Wirklichkeit sie ablehnt, mag er sich nun durch Auffindung einer schöneren Theorie belohnt sehen oder nicht. Und es ist bestimmt zu hoffen, daß der Realismus dessen I. Das realistisclie Weltbild. 19 immer eingedenk bleiben wird, wie er es im Ganzen bisher ge- wesen ist. Es wird ihm dann nicht so gehen, wie jenen Systemen rationalistischer Philosophie, die wohl unseren Vätern noch zu imponieren vermochten und von denen doch schon heute nicht viel mehr übrig ist als ein wenig Schaum — wie von Seifenblasen, die der Wind gegen eine Mauer getrieben hat. Wenn er seines Wesens eingedenk bleibt, so wird der Realismus nie in die Lage kommen, gleich jenen Systemen zu tiefem und berechtigtem Verdruß der studierenden Jugend eine Schattenexistenz in histo- rischen Büchern führen zu müssen. Der EeaHsmus ist über- haupt kein „philosophisches System^ , ähnlich etwa denen von Hegel oder Schopenhauer, und nicht einmal ist er vergleich- bar der Philosophie eines Kant. Eher könnte man ihn noch eine Methode nennen. Er ist ein Inbegriff von Hypothesen, die nicht durch „reine Vernunft", oder, wie man jetzt sagt, durch „reines Denken" ermittelt sind, sondern in Tatsachen ihre Wurzeln haben und allerdings festgehalten werden müssen, solange diese Tatsachen uns dieselbe Sprache reden und neue nicht hinzu- kommen. Der Realismus ist aber auch eine Anweisung, seine Hypothesen weiterzubilden und umzugestalten , und so sich selbst lebenskräftig und jung zu erhalten. Es ergibt sich aus dem Gesagten, daß der Realismus so weit wie möglich von der Behauptung entfernt ist, daß er (außerhalb der reinen Logik) eine absolute Entscheidung über richtig oder falsch besitze, daß er ein Wahrheitskriterium für seine Hypo- thesen haben könne. Wahr im strengen Sinne würde ja nur ein umkehrbar -eindeutiges Bild der Wirklichkeit genannt werden dürfen. Der Realismus kann aber von einem Wahrheitsgehalt oder Wirklichkeitswert seiner Hypothesen und Theorien reden. Sie sind Zeichen, die wir der vorausgesetzten Welt der Dinge zu- zuordnen suchen. „Es kann ein Zeichensystem mehr oder weniger vollständig und zweckmäßig sein; danach wird es leichter oder weniger leicht anzuwenden, genauer in der Bezeichnung oder un- genauer sein, wie wir dies an den verschiedenen Sprachen sehen" (Helmholtz). Der Fortschritt vollzieht sich in der Weise, daß gewisse Hypothesen oder Bestandteile von solchen zum dauernden Besitz der Wissenschaft werden, oder daß die darauf aufgebauten Theo- rien immer größere Bereiche von Erfahrungstatsachen erklären. 2* 20 I- I>M realistische WeltbUd. Wann aber eine Hypothese zum Dauerbestand der Wissenschaft wird gerechnet werden dürfen, dafür gibt es wieder kein un- tinigliches oder gar allgemeines Kriterium. Im konkreten Fall kann indessen die Begründung einer Hypothese so zwingend sein, daß man sagen darf, sie könne gewiß nie mehr aus der Wissenschaft entfernt werden. Eine solche ist z. B. die Hypothese der geologischen Kontinuität und die mit ihr zusammenhängende Entwickelungshypothese. Wir dürfen wohl sagen, diese bewährten Annahmen seien richtig oder wahr, ohne fürchten zu müssen, daß die fernste Zu- kunft uns Lügen strafen werde. Nicht ebenso steht es, wie wir noch sehen werden, mit der Gravitationstheorie. Aber auch von ihr kann gesagt werden: Sie hat einen hohen, für alle Be- dürfnisse der astronomischen Praxis ausreichenden Wahrheits- gehalt. Einen solchen hohen Wahrheitsgehalt muß ferner der Satz von der Erhaltung der Energie haben, wenn es auch noch nicht hat gelingen wollen und vielleicht auch nicht gelingen wird, ihm eine auf das Weltganze sich erstreckende einwandsfreie Fassung zu geben. Der Satz von der fortschreitenden Zerstreuung oder Entwertung der Energie gehört ebenfalls hierher. Um noch ein ganz anders geartetes Beispiel zu nennen, erwähnen wir Kekules Theorie des sogenannten Benzolrings. Hier liegt eine Hypothese vor, die eine längere Eeihe sehr spezieller und durch keine un- mittelbare Erfahrung zu kontrollierender Annahmen einschließt. Es ist eine ganze Kette von Hypothesen. Dennoch hat sich diese Theorie in allen Einzelheiten, in so zahlreichen und weitgehenden Konsequenzen bewährt, daß es sich für die Zukunft kaum noch um etwas Anderes als um eine feinere und reichere Ausgestaltung handeln kann. Gegen das Vorgetragene läßt sich ein Einwand erheben, den wir schließlich noch zur Sprache bringen müssen, da er die ganze Kraft unserer Argumente zu vernichten droht. Man kann nämlich eine Parallele herzustellen suchen zwischen der Annahme einer Außenwelt und der Annahme einer Willensfreiheit. Gründe ähnlich denen, die wir für die Annahme der Außenwelt geltend ge- macht hatten, sprechen, so kann es scheinen, auch für die Annahme der Willensfreiheit; ist dem aber so, so haben wir eine Konsequenz, die gerade dem Realisten höchst bedenklich vorkommen muß. I. Das realistische Weltbild. 21 Nicht minder starke Ghründe als die, die uns die Annahme einer Außenwelt aufnötigen, zwingen uns sicher zur Annahme psychischer Vorgänge, die nicht ins Bewußtsein treten. Träume und Halluzinationen, das hlitzartige Auftauchen mancher Ge- danken, ja schon die Tatsache der Existenz eines Gedächtnisses machen auch diese Hypothese unvermeidlich. Dann aher erscheint die Annahme einer Willensfreiheit als überflüssig, als eine jener Hypothesen, die zum Verständnis des Tatsächlichen nichts beitragen und schon aus diesem Grunde bedenklich sind. Über- dies wird sich der Bealist von vornherein nicht leicht zu einer solchen Annahme entschließen, da die Gesetzlichkeit des ganzen Naturverlaufs auf anderen Gebieten zu gut begründet ist, als daß man sie nicht auch für psychische Vorgänge voraussetzen sollte. Gleichwohl, könnte man nun argumentieren wollen, ist diese Hypothese eine, die wir Alle machen, der wir uns durch- aus nicht entziehen können, in die z.B. Kriminalisten zurück- zufallen pflegen, die theoretisch auf dem Boden des Determinismus stehen. Könnte aber dann die behauptete Selbstverständlichkeit der Annahme einer Außenwelt nicht ebensogut ein trügerischer Schein sein ? unsere Antwort hierauf ist, daß die beiden Fälle tatsächlich doch sehr verschieden liegen. Während praktische Verstöße gegen die Annahme einer Außenwelt schnell zur Vernichtung des irrenden Individuums führen müßten, ergibt sich hier aus der einen wie aus der anderen Theorie so ziemlich dieselbe richterliche Praxis ^), Es hat für den Bestraften N. N. keine praktische Bedeutung, und für den Strafenden erst recht nicht, ob dieser als Indetermi- nist die Tat oder als Determinist den Charakter des N. N. treffen will. Im Übrigen aber läßt sich die Ansicht vertreten, daß der scheinbar indeterministische Satz: „N. N. hätte auch anders handeln können" in Wirklichkeit gar nicht die Existenz einer Willensfreiheit behauptet. Es handelt sich dabei in der Tat 1) Allerdings besteht ein Unterschied für den Gesetzgeber in der Art der Bestrafung. Die Motive dieser Festsetzungen sind aber von geringem Einfluß auf die Tätigkeit des Strafrichters. (Während der Indeterminist die Strafe als Selbstzweck und Sühne für die be- gangene Tat auffaßt, wird sie und ihre Androhung dem folgerechten Deterministen lediglich Mittel zu den Zwecken des Schutzes der Ge- sellschaft, der Vorbeugung und Erziehung.) 22 I« ^M realisÜBche Weltbild. wohl nur um eine Sprachf ormel, gemeint ist etwas Anderes : „Wenn N. N. ein vorschriftsmäßiger Staatsbürger usw. wäre, so würde er anders gehandelt haben. *^ Es wird also an Stelle des N. N. eine fingierte Persönlichkeit, der gute Bürger oder der idealisierte Bichter oder sonstige Beurteiler substituiert, und mit der hypo- thetischen Handlung dieser gedachten Person wird die wirkliche Handlung des konkreten N. N. verglichen. Der Satz enthält eine Kritik der Persönlichkeit des N. N., nur formell ist die Möglich- keit einer anderen Deutung offen. Machen wir uns strafbar, so werden wir also in Wirklichkeit gestraft nicht für das, was wir tun, sondern für das, was wir sind. Bekanntlich ist dieses ge- rade die Ansicht vieler hervorragender Kriminalisten gewesen, und es ist auch die Meinung der führenden Kriminalisten der Gegen- wart. Wir werden bestraft dafür, daß wir nicht empfänglich sind für die Motive der Strafandrohung (F. v. Liszt). In summa: Zwischen der Leugnung einer Außenwelt und der Leugnung der Willensbestimmtheit besteht nur eine oberflächliche Analogie, die nicht zur Entkräftung der vorgetragenen Argumente verwertet werden kann. Als Außenstehender und Neuling in der phllosopliischen Lite- ratur habe ich es sehr schwer gefunden, mit der vorhandenen Termi- nologie zurechtzukommen. Es scheint, daß ein langes, eigens darauf gerichtetes Studium erforderlich ist, um auch nur mit den zahlreichen (wohl an die hundert) einander dachziegelartig überdeckenden Ismen der Philosophen eine hinreichend deutliche Vorstellung zu verbinden. Irre ich nicht, so herrscht auch im Sprachgebrauch verschiedener Philosophen und zuweilen vielleicht sogar eines und desselben Philo- sophen wenig Übereinstimmung. Findet Jemand, daß es mir nicht gelungen ist, die Worte „richtig'' zu gebrauchen, so bitte ich ihn, sich die ihm lieberen Worte zu substituieren. Schwer kann das nicht sein, denn zum Glück werden außer dem Bealismus nur noch drei weitere Ismen genauer zu betrachten sein, die im nächsten Abschnitt — auf gewiß unvorbildliche Weise — erklärt werden sollen. IL Die Gegner des Realismus: Idealisten, Positiyisten und Pragmatisten. Get aninud est trös m6ohant: Quand on rattaque, il se döfend. In unserer bisherigen Darlegung haben wir schon Einwände berührt, die dem Eealismus entgegengehalten worden sind. Solche Einwände können aus sehr verschiedenen Gesichtspunkten ge- macht werden 1). Alles Erdenkliche derart zu erörtern, dürfte nun zwar weder möglich, noch, wenn es möglich wäre, hier an- gängig sein. Einige der Gegner des Realismus nehmen aber im wissenschaftlichen Leben der Gegenwart eine so bedeutende Stellung ein, daß wir uns mit ihnen wohl nicht auf eine gar zu summarische Art abfinden dürfen. Auch werden wir uns gerade mit ihren Ansichten über den Raum zu befassen haben. Wir haben also noch einen besonderen Grund, nach Vermögen die erkenntnistheoretischen Wurzeln ihrer Lehrmeinungen bloßzulegen. Namentlich können die Anschauungen der Kantianer über den Raum nicht recht gewürdigt werden, wenn man nicht auch den Boden betrachten will, in dem sie gewachsen sind. ^) Eine gründllohe Untersuchung der positivistischen und ideali- stischen Argumente findet man bei O. Külpe, Die BealiHierung, Bd. I (Leipzig 1912), eine kürzere Darstellung der Hauptpunkte auch in desselben Autors Einleitung in die Philosophie (6. Auflage, Leipzig 1913, § 14 bis 17). Den Fra^^matismus behandelt in ähnlichem Sinne E. Dürr in seiner Erkenntnistheorie (Leipzig 1910). Wir empfehlen diese beiden Werke Jedem, der sich über die hier be- handelten Kontroversen noch weiter unterrichten will. Wegen des Positivismus siehe auch die auf S. 28 angeführte Literatur (nament- lich die sehr lesenswerte Schrift von Nelson) und die Populären Schriften von L. Boltzmann. 24 n. Gegner des Bealismus. Wir erklären zunächst in abstracto die sich in Wirklich- keit mannigfach durchkreuzenden Tendenzen, mit denen wir uns auseinandersetzen wollen. Eine Theorie der Erkenntnis heiße: idealistisch, wenn sie wesentlich spekulativ ist, die Er- fahrung als minderwertige Erkenntnisquelle erachtet oder doch tatsächlich geringe Rücksicht auf sie nimmt (Betonung der Er- kenntnisse a priori) ; positivistisch, wenn sie im Gegenteil alle wertvolle Er- kenntnis auf die Erfahrung zurückführt und alle die Grenzen der Erfahrung überschreitenden (transzendenten oder „meta- physischen") Spekulationen ablehnt (Beschränkung der Wissen- schaft auf das „Positive", Forderung der Immanenz); pragmatistisch, wenn sie die Möglichkeit einer objektiven Erkenntnis überhaupt leugnet und in der Wissenschaft ausschließ- lich eine den Zwecken des Lebens dienende Einrichtung sieht. Daß von allen diesen Standpunkten aus der Realismus grundsätzlich abgelehnt werden muß, ist ersichtlich. Es bestehen aber wesentliche Unterschiede in der Art der Ablehnung. Ver- treter der idealistischen Geistesrichtung, die schon auf eine längere Geschichte zurückblicken kann, betrachten häufig den Realismus als einen längst überwundenen Standpunkt. (Das Überwinden von Standpunkten ist ein beliebter philosophischer Sport.) Sie treten ihm dann vornehm, mit Milde und behaglicher Überlegen- heit gegenüber. Mit der Leidenschaft des Renegaten bekämpft dagegen der Positivismus als abtrünniger Sohn seinen Erzeuger, den Realismus (und die idealistische Philosophie Kants, die man als seine Mutter hinstellen darf, nicht minder). Auch er ist nicht mehr ganz jung, aber doch eine noch völlig ungesättigte Existenz, eine Art von beutehungrigem philosophischem Raubtier. Für viel gefährlicher als die in üblichen Formen sich bewegende Taktik dieser beiden halten wir das Gebaren des Pragmatismus, der schon antike Vorläufer hat, in seiner heutigen Form aber ein Kind unserer Tage und zwar direkter Abkömmling des Positi- vismus ist. Dieser Pragmatismus ist eine völlig skrupellose Philo- sophie. Seine Grundsätze sind dermaßen lax und dehnbar, daß Idealiiten, Positivisteo, Prag^atisten. 25 er sich den ganzen Inhalt jeder beliebigen Art von Philosophie (und Religion) zu eigen machen kann. Er tut es gegebenenfalls auch, setzt aber gleichzeitig ihren Erkenntniswert herunter. Er unterminiert Alles mit neuen und angeblich besseren Argumenten, um es nachher unversehens in die Luft zu sprengen. Nicht einmal die Mathematik darf sich vor diesem falschen Freunde sicher fühlen. Zur Terminologie bemerken wir, daß uns die erklärten Worte nicht gerade die besten zu sein scheinen. Was wir Idealismus nennen, wird vielfach passender Rationalismus genannt. Aber dieses Wort hat immer einen tadelnden Beigeschmack, wäh- rend viele Philosophen, namentlich die Kant scher Richtung, sich selbst als Idealisten bezeichnen *). Ebenso würden wir den Posi- tivismus, dessen Prinzip aus der Phantasielosigkeit eine Tugend macht, lieber Negativismus nennen. Der Pragmatismus end- lich sollte von rechtswegen ütilitarismus heißen. Wenn es auch seinen Vertretern unerwünscht sein mag, so ist er doch die Leib- und Magenphilosophie des banalen Nützlichkeitsmenschen, der nur den Geist schätzt, den er begreift und seinen Zwecken dienstbar machen kann. Hierauf, nicht auf etwaiger beson- derer Güte seiner Gründe beruht die Gefährlichkeit, die wir ihm zugeschrieben haben. Er schmeichelt den Instinkten einer weitverbreiteten und einflußreichen Menschenklasse, die aller um ihrer selbst willen betriebenen Wissenschaft aus Herzensgrund feind ist. Zunächst wollen wir nun solchen Vertretern des Positivismus und Idealismus das Wort geben, die sich besonders weit vor- gewagt haben. Beide sprechen sie zu gleicher Zeit. Der Posi- tivist würde daher den Idealisten selbst dann nicht verstehen, wenn dieser nicht in Zungen redete. ^) Die Philosophie Kants, die einen vermittelnden Standpunkt zwischen dem sogar die Existenz einer Außenwelt leugnenden Idealismus Berkeleys (esse = percipi) und einer älteren Phase des Realismus einnimmt, wird vielfach deshalb als Kritizismus bezeichnet. Inso- fern sie DiDge hinter der Erscheinung annimmt, sie aber für uner- kennbar erklärt, wird sie auch als Phänomenalismus charakteri- siert. Beide Worte passen aber nicht mehr auf die Nachfolger Kants, mit denen wir es weiterhin zu tun haben. Wir gebrauchen diese Ter- mini nicht. 26 n. Geg;ner des Realismus. Ein PogiÜTist spricht: „Göttlich ist die Erfah- rung, aller Erkenntnis Alpha und Omega. Auf einer ihrer XII Ge- setzestafeln steht: »Du sollst dir kein Bildnis noch Gleichnis machen und du sollst keine anderen Götter haben neben mir«. Einzige Auf- gabe des Verstandes oder soge- nannten Geistes ist Pflege und Anbetung des Götterleibes der Er- fahrung. Leider aber ist der Geist ein unbotmäßiger Tempeldiener und muß oft in seine Schranken verwiesen werden. Entgegen seiner Dienstanweisung läßt er Personen ein, die im Tempel der Erfahrung nichts zu suchen haben, zum Bei- spiel Hypothesen. Ich mache darauf aufmerksam, daß ich mich bemüht habe, ein Buch zu schreiben, in welchem keine Hypothese aufgestellt oder benutzt worden ist. An Stelle der Hypothesen Anderer treten bei mir die Öko- nomie des Denkens und die Energetik.^ Ein Idealigt spricht: „Geist ist Alles. 'I&V d^xJi ^y 6 Xöyog. In initio erat verhum. Nur Geistiges ist wahr, und nur Wahrheit ist Ziel der Wissenschaf t, wie in der Mathematik. ^Äel 6 d^eoq ysioiüieXQeL retofdeTgeZy = dQkd^fjLTiid^Siv, Die einzige Bealität ist folglich die Zahl. Geist = Denken = Xöyo^ = Sein = Nichtsein = Wahrheit = Zahl. X = U. Dinge gibt es nicht, weil sie weder Zahl noch Geist sind, Hypothesen gibt es aber trotzdem, vermutlich weil sie sich auf Dinge beziehen, die es nicht gibt, und weil sie folglich Geist sind. Der Geist hat seinen Ursprung im Nichts, und gleich dem Seidenwurm spinnt er Alles aus sich selbst, also aus dem Nichts heraus. Daher hat der Geist eine unbegrenzte, aber wohlverdiente Bewunderung für sich selbst, die sich natürlich auch auf das Nichts erstreckt." Um jeden Anschein schnöder Parteilichkeit zu vermeiden, wollen wir auch noch den Realisten so reden lassen, wie seine Worte wohlmeinenden idealistisch -positivistischen Kritikern etwa klingen mögen. (Wir plaudern da Herzensgeheimnisse der Gegner aus , sehen uns aber dabei zum Glück nicht ausschließlich auf Vermutungen angewiesen.) Ein Realist spricht: „Es gibt Geist und es gibt Dinge, die nicht Geist sind. Vom Nichtgeist nährt sich der Geist, und diese Tätigkeit des Geistes heißt Hypothesenbildung. Dazu sperrt der Geist den Mund auf, bekommt Nichts hinein, schluckt es und ist, wenn auch nur vor- übergehend, gesättigt. Nach jedem Schluck bricht der Geist in ein Triumphgeheul aus und führt einen Kriegstanz auf. Einige, die sich Materialisten nennen, sagen, der Geist sei nur eine be- Idealisten, Positivisten, Pragmatisten. 27 sondere Art von Nichtgeist. Ich habe mir das noch nicht genau genug überlegt, zweifele aber nicht, daß es mir gelingen wird, auch dieses Problem zu lösen. Jedenfalls ist der Geist eine Tat- sache. Geist = Hypothese = Tatsache." Im letzten Monolog hoffen wir einen anerkennenswerten Grad von Objektivität entwickelt zu haben. Die Porträtähnlichkeit der zuvor eingeführten Persönlichkeiten kann jedoch zweifelhaft er- scheinen und bedarf also wohl noch einer Erläuterung. Vorher aber wollen wir noch Einen reden lassen, der die pragmatistischen Lehren auf eine ihm genehme, allerdings etwas sonderbare Weise auffaßt. Ob dieses Individuum ein Recht dazu hat, wird sich später zeigen. Ein Pragmatist spricht : „Dein naiver Erkenntnistrieb, mein lieber, offenbar noch sehr junger Freund, ist Erbstück einer total veralteten Welt- anschauung. Die reine Zeitvergeudung! Time is money. Solche Erkenntnis, wie Du sie Dir träumst, gibt es ja gar nicht, und wenn es sie gäbe, wäre sie wertlos. Denn aller Dinge Maß ist bekanntlich der Mensch^). Alle Wissenschaft, die auf den Namen Anspruch hat, dient den Zwecken des Lebens. Die Leser einer amerikanischen Zeitung, der zuliebe jeden Tag ein Wald abgeholzt wird, die so groß ist, daß die Sonntagsnummer ausgebreitet eine englische Quadratmeile bedeckt, die Millionen Leser dieses Mammutblattes also haben durch beinahe ein- stimmigen Beschluß festgestellt , daß das mäking of money nicht nur, wie bekannt, die angenehmste und angesehenste, sondern auch die einzige wirklich kulturfördernde Arbeit ist. Doch brauchst Du darum nicht den Mut zu verlieren. Stelle z. B. Deine schätzbaren, bisher nur spielerisch betätigten Kräfte in den Dienst eines Trusts oder einer großen Eisenbahngesellschaft. Stelle Dir vernünftige Probleme, solche, die der Zeitungs- leser begreift 2), und Du kannst immer noch ein kleiner Edison ^) Danach nennt sich der Pragmatismus auch Humanismus (I). ^) Diese Art der Problemkritik übte schon jener Philosoph, der Archimedes tadelte, weil er sich mit so unnützen Dingen wie den Eigenschaften der Ellipse beschäftigte. Das große Publikum ist seit- dem nicht viel verständiger geworden. 28 ^* Oegner des Realismus. werden 1). Jedenfalls wirst Du aber dann zum Manne heranreif en^ und dann wirst Du mindestens stimmberechtigtes Mitglied der großen internationalen Eepublik der money makers und news- paper readerSt und das ist auch schon etwas." Zunächst nun geben die dem Positivisten in den Mund ge- legten Worte Ansichten des bekannten (und als Fachmann ge- schätzten) Chemikers Ostwald genau wieder, der sie in zahl- reichen Schriften vertreten hat, zusammen mit vielen anderen (auch entgegengesetzten), mit denen wir uns zum Glück nicht zu beschäftigen brauchen. Aber Ähnliches findet sich noch vielfach in der Literatur, zum Teil schon bei Hume, dann bei Comte, auf den sich der gesamte Positivismus beruft. Ziemlich Dasselbe sagt auch E. Mach, der zwar sehr viel ernster zu nehmen ist, als Ostwald, aber kaum weniger absprechend auftritt (vgl. S, 42). Mach formuliert den Gedanken noch schärfer, indem er an Stelle der Erfahrung, der vom Verstände bearbeiteten Empfindung, diese selbst treten läßt 2). Von ihm rührt das „Prinzip der Ökonomie des Denkens" oder vielmehr das Wort und die Wertschätzung der Sache her, worauf wir noch zurückkommen werden. „Statt die Erfahrung als einen nie zu überspringenden Ausgangspunkt und als eine nie zu vernachlässigende Kontrolle aller realwissen- schaftlichen Forschung zu schildern und anzuerkennen, wird sie hier als einziger Gegenstand und als einziges Ziel der unter- ^) Eine wahre Anekdote: Im Jabre 1893 stand in einer Gesell- schaft zu Chicago ein deutscher Gelehrter in der Nähe eines Re- porters, als ein neuer Gast die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Es entwickelte sich folgendes Gespräch: „Who is itf* — That is Helmholtz. — „ Who is Helmholtz ?" — The famous physiciet (etc.). „Ol imderstand, Edison in a small wayJ' ^) Einige nennen diese Nuance des Positivismus Konszientialismus. — Zum Positivismus überhaupt siehe außer dem schon zitierten "Werke Külpes noch des gleichen Autors kleines Buch: Die Philosophie der Gegenwart in Deutschland (5. Aufl., 1911); ferner: L.Nelson, Ist metaphysikfreie Naturwissenschaft möglich? (Abhand- lungen der Eriesschen Schule, 11, S. 3, Göttingen 1908); E. Dürr, Erkenntnistheorie (Leipzig 1910, S. 140—149, 158—162); E.Becher, Philosophische Voraussetzungen der exakten Naturwissen- schaften (Leipzig 1907, S. 29 u. f., vgl. auch S. 91 u. f.). — Übrigens stimmt die Terminologie dieser Autoren mit der hier angewendeten nicht immer überein. Idealisten, PositiviBten, Pragmatisten. 29 suchung und Darstellung behandelt und damit auf einen ihr nie gebührenden Thron gehoben" (Külpe). Was wir sodann unseren Idealisten haben orakeln lassen, wird beinahe noch übertroffen in einem Werke des Philosophen Her- jnannCohen, der eine wahre Leidenschaft für Identifizierung der heterogensten Begriffe entwickelt und dessen Philosophie sogar großenteils eben darin besteht ^). Allerdings muß der Verfasser ver- muten, daß er diesen Autor gründlich mißverstanden hat, und das ist schlimm, denn es scheint Verschiedene zu geben, die Cohens Philosophie „verstehen". Damit der in solche Geheimnisse nicht eingeweihte Leser sich ein eigenes Urteil darüber bilden kann, was es mit diesem Verständnis der Verständnisvollen für eine Bewandtnis hat, stellen wir am Schlüsse des vorliegenden Ab- schnittes ein paar Proben zusammen. Aber es würde natürlich ungerecht sein, wollten wir Positi- vismus und Idealismus nach ihren extremsten Vertretern beur- teilen. Nur wird das, was wir als Fehlgriffe ansehen müssen, bei solchen Autoren am leichtesten erkannt. Im Ganzen machen Positivisten wie Idealisten dem Eealismus viele Konzessionen — wie sollten sie auch nicht — und umgekehrt hat der Realismus von diesen seinen Widersachern gelernt, besonders von Kant, dessen Philosophie zur Klärung der Grundbegriffe sehr Wesent- liches beigetragen hat. Man kann vielleicht sogar sagen, daß zwischen der Erkennt- nistheorie Kants und dem Realismus ein unversöhnlicher Gegen- satz überhaupt nicht besteht. Auch Kant nimmt ja transzendente Realitäten ausdrücklich an, und wenn er sagt, daß wir in ihr Wesen, in die innerste Natur der Dinge nicht eindringen können, so wird das heute der Realist nicht mehr bestreiten, wenn es so aufgefaßt wird, wie zuvor gesagt (S. 15). Freilich bedeutet das dann eine Selbstverständlichkeit für jeden nicht dogmatischen oder mystischen Geist. Sich mit der These eines vorsichtig ab- gefaßten Realismus auseinanderzusetzen, der eine fortschreitende, aber nicht abschließende Erkenntnis der Dinge annimmt, hat Kant wahrscheinlich keine Gelegenheit gehabt. Femer wird der Realist wohl Kant zustimmen müssen, wenn er Erkenntnisse „a priori" und solche „a posteriori" unterscheidet. 1) H. Cohen, Die Logik der reinen Erkenntnis (Berlinl902). Index dazu von Albert Görland (Berlin 1906). 30 n. Gegner des Bealismns. Erkenntnisse der ersten Art, nämlich Denknotwendigkeiten, sind sicher alle Lehrsätze der reinen Mathematik. Wohl kommen wir auch zu ihnen nicht ohne Erfahrung, an Äpfeln oder Nüssen lernen wir zählen; haben wir aber mathematische Sätze erst ein- mal begriffen, so können wir uns nicht mehr über sie hinweg- setzen. Zu dem Begriff der Primzahl müßten bei hinreichender Geistesentwickelung auch nicht-menschliche Wesen kommen, und keines von ihnen könnte sich anders als durch Verweigerung des Nachdenkens der Einsicht entziehen, daß es unendlich viele Prim- zahlen gibt. Auch einen weiteren sehr wesentlichen Punkt wird man Kant wohl zugeben müssen, daß nämlich in unserer Eaum- und Zeitanschauung ebenfalls ein apriorisches Element steckt, von dem uns loszumachen wir nicht in unserer Gewalt haben. Wenn auch die Behauptung nur auf Selbstbeobachtung beruht, und daher, wer sie leugnen will (z.B. R. Mayer, Ostwald), nicht überführt werden kann, so ist doch wohl kein Zweifel, daß wir — als erwachsene, normale Menschen — unsere Anschauungen und Erinnerungsbilder räumlicher Dinge in gewisser Weise ordnen und ordnen müssen, daß sich unser räumliches Vorstellen in bestimmten Bahnen vollzieht und daß Ähnliches von der Vor- stellung in den Zeitverlauf eingeordneter Ereignisse gilt^). (Auch liegt Grund zu der Annahme vor, daß es sich bei Tieren, zum mindesten bei höheren Tieren nicht anders verhält.) Können wir dem berühmten Denker so weit folgen, so hört das auf, wenn Kant auf Grund dieser Tatsachen — als solche lassen wir sie gelten — Raum und Zeit selbst für subjektiv erklärt, in ihnen reine Erkenntnisformen erblicken will. Hier liegt ein Widerspruch vor. Nimmt man die objektive Existenz einer Welt von Dingen an, mögen sie nun erkennbar sein oder nicht, so müssen sie auch in objektiven Beziehungen zueinander stehen. Wie die Dinge sich zu den Erscheinungen verhalten, so müssen diese objektiven Beziehungen sich zu den subjektiven ver- halten, die wir kennen, und unserer Raumvorstellung muß eben- 1) Der Widerspruch hiergegen beruht wohl meist auf der Ver- wechselung von apriorisch und angeboren, die Kant vorausgesehen hat und gegen die er sich energisch verwahrt hat. Seine Äußerungen darüber sind völlig klar. Idealisten, Positivisten, Pragmatisten. 31 falls etwas Objektives gegenüberstehen, die wenn auch vielleicht unerkennbare Form, in der die Dinge sind. Wohl streckt der Erkenntnistrieb seine Fühlhörner aus, um das All zu betasten, aber auch, um beschämt zu bekennen, wie wenig er damit erreichen kann. Nach Kant aber soll das All, wenn auch nur der Form nach, schon im Subjekt vorgebildet sein. Im „Gemüte'' soll diese Form bereit liegen, in der Alles, was hier oder dort war und ist, sobald es nur bekannt wird, seinen a priori völlige bestimmten Platz bekommt, da es ja nur durch Einordnung in das vorhandene Schema überhaupt aufgenommen werden kann. Und dieses Schema soll überdies, wie ohne weitere Motivierung angenommen wird, für alle Menschen (warum dann nicht auch für andere in derselben Welt lebende denkende Wesen?) dasselbe sein^), es soll eine immer gleiche (mathematische) Struktur haben. Zum Beweise wird eine Alternative untersucht, der zufolge „Raum und Zeit" entweder „empirische Begriffe" oder „reine Anschauungen", Formen des Erkenntnisvermögens sein sollen. Aber es hätte zunächst festgestellt werden müssen, ob eine solche Disjunktion überhaupt besteht und ob nicht viel- mehr die Worte Eaum und Zeit (wie Kant sie braucht) bald Dieses, bald Jenes bedeuten. In der Tat liegt Kants „Raum- argumenten" dieses Qui pro quo von Empirismus und Psycho- logie, die Gleichsetzung Raum = Vorstellung vom Räume zu- grunde. (Tisch = Vorstellung vom Tische !) Es ist nichts damit anzufangen 2). Daß das Schema der Raum- und Zeitvorstellungen auch aus- gewachsener Menschen am Ende gar nicht so wohlkonstruiert. 1) Ein Beweisversuch bei Sigwart (Logik DE, S. 367, 1911) ent- hält eine offenbare petitio prindpii, ^) Siehe die eingehende Kritik bei 0. Külpe: Immanuel Kant (Leipzig 1912), Artikel 5 und 7. Die Unklarheiten von Kants Baum- und Zeittheorie haben um- fangreiche Diskussionen unter den Kantianern selbst veranlaßt. Einen Bericht darüber mit schier unzähligen Literaturangaben findet man im zweiten Bande von Vaihingers Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft (Stuttgart 1912). Danach scheint in allen diesen Schriften lediglich leeres Stroh gedroschen worden zu sein. Weder Yaihinger selbst noch irgend einer der von ihm gewürdigten Autoren hat die Wurzel des Übels erkannt. 32 1^- Gegner des Bealifunus. sondern, den Sinnesorganen vergleichbar, mit UnvoUkommenlieiten behaftet ist, deren Wirkungen (mit nicht durchgängigem Erfolg) der Verstand zu eliminieren sucht, ist ein Gedanke, auf den Kant gar nicht gekommen zu sein scheint i). Vielleicht haben es die mit dem Begriff des unendlichen verbundenen Schwierigkeiten Kant unmöglich gemacht, den Ge- danken eines objektiven , uns also nur durch Erfahrung zugäng- lichen Raumes ernsthaft ins Auge zu fassen. Es beziehen sich darauf, neben dem letzten Raumargument, die „Antinomien der reinen Vernunft", und außerdem kommt noch die Äußerung vor, daß Raum und Zeit, wie „die Partei der mathematischen Natur- forscher" (gemeint sind Newton undClarke) sie annimmt, also der empirische Raum und die empirische Zeit, „zwei ewige und unendliche für sich bestehende Undinge" seien. (Vgl. auch S. 53, Vaihinger.) Die Antinomien können wir auf sich beruhen lassen, da sie allgemein als Sophismen anerkannt werden, die Ansicht Berke- leys aber, auf die in den letzten Worten angespielt wird, hat auch heute noch ihre Vertreter. Der Grundgedanke ist, daß der Begriff eines vollendeten Unendlich unfaßbar und darum wider- sinnig sein soll. Ein Unding in gleichem Sinne wie der Raum müßte dann aber auch schon der Inbegriff sämtlicher Punkte einer Kreislinie sein, die ebenfalls eine vollendete unendliche Menge bilden. Ein Unding wäre dann auch schon der übliche Begriff der Kreislinie selbst, an dem kein Geometer Anstoß nimmt und der sicher auch Kant als ganz unverfänglich er- schienen ist. Vollends unbrauchbar aber ist diese Argumentation im Rahmen einer Philosophie, die von vornherein die Existenz unerkennbarer Dinge annimmt und also auch nicht ohne Weiteres die Existenzmöglichkeit eines unerkennbaren vollendeten Un- endlich leugnen kann. Der ganzen Argumentation liegt eine Idee zugrunde, die Kant auch ausdrücklich formuliert hat und die später für Kants Nachfolger besonders verhängnisvoll geworden ^) Unser Einwand wird auch nicht entkräftet, wenn man mit Kant selbst dessen Theorie so auslegt, daß Baum und Zeit zugleich subjektive und objektive „Gründe" haben (Werke, Ausgabe Harten- stein, VI, S. 23). Die Gleichsetzung Baum = Kaum Vorstellung bleibt. Idealisten, Poeitivistexi, Pragmatisten. 33 ist: Der Gedanke, daß die Gegenstände' sich nach der Er- kenntnis richten müssen. Es ist eine stark anthropomorphe und anthropozentrische Philo- sophie, diese Philosophie Kants. Sie zeigt damit Eigentümlich- keiten, die wir sowohl bei ihren Ausläufern als auch, in anderer Form, beim Positivismus und Pragmatismus in noch höherem Maße wiederfinden werden^). Kann man der für Kant (und seine Schule) charakteristischen Überschätzung der Welt der reinen Denknotwendigkeiten im Ver- hältnis zu der so unendlich viel reicheren Welt der Erfahrungs- inhalte^) noch eine relative Berechtigung zuerkennen, so beginnt mit der geschilderten Lehre einer sogenannten Idealität von Raum und Zeit eine Vergewaltigung der Tatsachen, der gegen- über nicht einmal die Psychologie zu ihrem Bechte kommen kann, wiewohl ihr diese Denkrichtung, wenn sie es auch nicht immer zugeben will, die Argumente entnimmt. Wir begnügen uns hier mit dem Gesagten, um in einem be- sonderen Abschnitt (IV) genauer auf die Sache einzugehen. Stark, ja ins Groteske übertrieben finden wir die bezeichneten Mängel der Eant sehen Philosophie bei gewissen Nachfolgern Kants. Vom Hegelismus und Verwandtem wollen wir nicht ^) Gibt man zu, daß die Gegenstände sich „nach unserer Erkennt- nis" zu richten haben, und gibt man außerdem die doch wohl evidente Verschiedenartigkeit der Subjekte zu, so kommt man notwendig zum sogenannten Subjektivismus, einer Form der Skepsis, die die Mög- lichkeit einer allgemein annehmbaren Erkenntnis mindestens in bezug auf die Beurteilung von Erfahrungstatsachen leugnet. Eben dahin führen, wie wir sehen werden, auch die Wege des Positivismus und des Pragmatismus. Alle drei Tendenzen, der Idealismus, der Positi- vismus und der Pragmatismus, so verschieden sie sonst sind, haben das Gemeinsame, daß sie sich, zwar keineswegs von vornherein, aber doch mit ihren letzten Konsequenzen, den Eealwissenschaften feindlich gegenüberstellen. *) Derselben Überschätzung bloßer Spekulation begegnen wir auch sonst noch bei Kant: «Nichts kann schädlicheres und eines Philo- sophen unwürdigeres gefunden werden, als die pöbelhafte Berufung auf vorgeblich widerstreitende Erfahrung, die doch gar nicht existieren würde, wenn jene Anstalten (Staatsverfassung und Gesetze) zu rechter Zeit nach den Ideen getroffen würden, und an deren Statt nicht rohe Begriffe, eben darum, weil sie aus Erfahrung geschöpft worden, alle gute Absicht vereitelt hätten." (Kritik der reinen Vernunft, I. Aufl., 8. 316, n. Aufl., S. 373.) Study, Bealistische Weltansicht. 3 34 ^ Gegner des Eealismus. reden, sondern nur von dem, was jetzt noch blüht und bei Manchen in Ansehen steht. War das ,iDmg an sich^ bei Kant zufolge der allzu starken Betonung des Apriorismus in embryonalem Zu- stande geblieben, eine Art von Fehlgeburt, so verschwindet es nunmehr völlig. Es ist in der Tat auch kein Platz dafür vor- handen, wenn man die angebliche Idealität von Raum und Zeit festhalten will. Atome z. B. können dann weiter nichts sein, als „Bechenmarken der Theorie'' (Lieb mann). Der Geist, „das Denken*', verschlingt schließlich Alles. Die ganze Welt wird, wie schon bei Berkeley,in das denkende Subjekt hineinprojiziert ^). So lesen wir vom Baume: »^^^ unserem sichtbaren Leibe bis zum Sternenhimmel, samt Allem, was darin ruht und sich be- wegt, ist er nichts absolut Beales extra mentem^ sondern ein Phänomen innerhalb unseres sinnlichen Bewußtseins*' (Lieb- mann, S. 51). »Der empirische Anschauungsraum (!) mit der empirischen Sinnen weit darin ist ein Erzeugnis unserer Intelligenz" (Liebmann, S. 52). Es ist ein „fundamentales Vorurteil, daß dem Denken seine Stoffe von der Empfindung gegeben werden . . . Der ganze unteilbare Inhalt des Denkens muß Erzeugnis des Denkens sein" (Cohen, S. 49; vgl. auch S. 67 und 68). Der ganze Inhalt! Eine schwindelerregende Verallgemeinerung, die das diametrale Gegenteil dessen ist, was ein nicht durch vage Spekulationen verbildeter Verstand der elementarsten Beobach- tung entnimmt. Natürlich kann da vom Aufbau einer Erkenntnistheorie, deren Probleme zudem noch von Cohen und Anderen in einer so- genannten Logik verkrümelt werden, gar nicht die Bede sein. Eine folgerechte Durchführung derartiger Gedanken müßte ja zum Solipsismus führen, für den es nur ein einziges denkendes Subjekt gibt. Wir kennen doch ein absolutes Denken, ein Denken in abstracto („nicht-menschliches Denken", Cohen, S. 39) nur als Fiktion. Es hat so wenig Bealität wie etwa das absolute Ich Fichtes oder der Wille Schopenhauers. Wirklich ist nur ein Denken von Individuen. Die Existenz eines allen normalen Individuen Gemeinsamen, der Logik, ändert daran gar nichts. ^) Die folgenden Zitate beziehen sich auf das S. 29 genannte Werk von H. Cohen und auf O. Liebmanns Analysis der Wirklich- keit (3. Aufl., Straßburg 1900). Idealisten, PoaitiyiBteni Fragmatisten. 35 Anderes ist verschieden, und wiederum Anderes, das nicht logischer Natur ist, trotzdem übereinstimmend vorhanden. Wieso soll das aus freier Hand sich selbst seine Inhalte setzende Denken ver- schiedener Denker dazu kommen, in annähernd gleicher Weise Denkinhalte wie Sonne, Mond und Sterne zu erzeugen? Aber es muß wohl wirklich eine besondere, den meisten Sterblichen unerreichbare Art des Denkens geben. Es ist das Denken des Ursprungs (Cohen, S. 33). Wir werden dieselbe (oder wenig- stens vermutlich dieselbe) Art des Denkens später wiederfinden unter dem Namen eines Denkens der Existenz (Natorp). Der Idealismus geht hier in Mystik über, die ja auch sonst überall besondere Inspirationen oder Intuitionen ihrer Vertreter behauptet. Unter solchen Umständen ist es nicht zu verwundern, daß mit Hilfe des allvermögenden Denkens auch Ergebnisse exakter Forschung gelegentlich einer nachträglichen apriorischen Ab- stempelung oder womöglich gar einer „erkenntniskritischen Klärung" (Natorp, S. 35 6 ff.) unterzogen werden. Dem Mathe- matiker insbesondere muß es schmerzlich sein, seine Wissenschaf t in den Himmel erhoben und gleichzeitig mißhandelt zu sehen ^). Was so hoch gepriesen wird, man hat es nicht genügend studiert. Zu sachgemäßem Studium der Mathematik, wie zum Eindringen in die Experimentalwissenschaften, gehört eben Geduld — zuviel davon für diese Philosophen. Darauflosphilosophieren ist ent- schieden leichter. Wollen Tatsachen sich nicht fügen, dann „desto schlimmer für die Tatsachen". Ein gründlicher Kenner hat über diese Bichtung geurteilt, und es scheint uns gewiß, daß er nicht Unrecht hat: „Ein feierlicher Kultus der » Wissenschaf t 0> verbunden sind. Bewegung heißt eine lineare homogene Trans- formation von der Determinante Eins, die den vier Zahlen Xk vier andere xt zuordnet, die derselben Gleichung genügen. Diese Be- wegungen bilden (wie sofort folgt) ein Eontinuum und eine Gruppe mit sechs wesentlichen Parametern. Figuren (zunächst örter von Punkten), die durch sie zur Deckung gebracht werden können, heißen kongruent. Objekt der sphärischen Geometrie sind die kongruenten Figuren gemeinsamen Eigenschaften. Zu diesen gehört insbesondere die Entfernung zweier Punkte x^ yi f 1 1 JB.arccos j— (Xo^o + ä^iJ/i + x^y^ + a^sS^s)/ und das (hiermit schon gegebene) Quadrat des Bogen- elementes dx^ + dx^ + dx^ + dxl, n. Pseudosphärische Geometrie. Punkt heißt ein Quadrupel von vier (reellen) Zahlen ^o» ^> ^2t ^8) ^^® durch die Gleichung 94 VI. Erster Schritt der Hypothesenbildung. aJo^ — aJi' — a?j? — ajj» = Ija {R>0} und die Ungleichung verbunden sind. Bewegung heißt eine lineare homogene Trans- formation von der Determinante Eins, die die genannte Gleichung wie auch die zugehörige Ungleichung unverändert läßt. Diese Bewegungen bilden ein Eontinuum und eine Gruppe mit sechs wesentlichen Parametern. Figuren, die durch sie zur Deckung gebracht werden können, heißen kongruent. Objekt der pseudo- sphärischen Geometrie sind die kongruenten Figuren gemeinsamen Eigenschaften. Zu diesen gehört insbesondere die Entfernung zweier Punkte x, y: B.arcco$hl^(xQyQ — Xiyi — x^f/2—Xiy^)\ und das quadrierte Bogenelement — dx^ -\- dx^ + dx^ + dx^. m. Euklidische Geometrie. Punkt heißt ein Tripel von (reellen) Zahlen Xi, x^t x^. Bewegung heißt eine lineare, nicht notwendig homogene Trans- formation von der Determinante Eins, die dem aus zwei Zahlen - tripein gebildeten Ausdruck seinen Wert läßt. Diese Bewegungen bilden ein Eontinuum und eine Gruppe mit sechs wesentlichen Parametern. Figuren, die durch sie zur Deckung gebracht werden können, heißen kon- gruent. Objekt der Euklidischen Geometrie sind die kongruenten Figuren gemeinsamen Eigenschaften. Zu diesen gehört ins- besondere die Entfernung zweier Punkte V (yi - %)" + (y» - «2)" + (ys - X,)* und das quadrierte Bogenelement dxl -\- dx.2 + dx.^. Die hiermit formulierten Hypothesen I, U, IQ lassen sich auch zusammenfassen, wodurch zwar ihre Unterschiede etwas weniger deutlich hervortreten, aber klarer das zum Vorschein YI. Erster Schritt der Hypothesenbildung. 95 kommt y was sie von anderen zulässigen (jedoch nicht zweck- mäßigen) Hypothesen unterscheidet: Die natürliche Geometrie (so nehmen wir an) stimmt, mindestens in dem uns erkennbaren Baumstück, über- ein mit der Geometrie (mit der zuweilen so genannten inneren 6eometrie5 geometria inirinseca) in irgend einem dreidimensionalen Zahlenkontinuum von konstantem Riemannschen Krümmungsmaß. Dieses Krümmungsmaß hat in den Fällen 1, 11, III die Werte i ^. n -i^, m Nnu, und es ist charakterisiert lediglich durch den Ausdruck für das quadrierte Bogenelement, dem sich, wenn das Krümmungs- maß K genannt wird, in allen drei Fällen die Form dx{ + dx^ + dx{ + K- ^^ — ' . 2 I ä I 2N ^ 2 13 1 l ^ S.{X^ -\- X^ '\- X{) geben läßt. Das geometrische System IQ ist ein Grenzfall jedes der beiden Systeme I, 11 und wird erhalten, wenn man den in die Definitionen I, II eingehenden Parameter i?, den zuweilen auch so genannten (Riemannschen) Krümmungsradius, über alle Grenzen wachsen, oder also das Krümmungsmaß K gegen Null konvergieren läßt. Zu beachten ist ferner, daß die Systeme I, 11 nicht, wie es zunächst scheinen mag, unendlich viele wesentlich- verschiedene geometrische Lehrgebäude darstellen, sondern nur je eines: Durch die triviale Substitution Xx = JR.x^ gebt jedes in eines der beiden Systeme über, die dem Werte i2 = 1 ent- sprechen. Unsere Hypothesen I, 11, HI — die sich, wie wir wiederholt bemerken, nur auf ein in seinen Dimensionen beschränktes Raumstück beziehen — können daher auch unterschieden werden als I. Hypothese des positiven Krümmungsmaßes, U. Hypothese des negativen Krümmungsmaßes, m. Hypothese des verschwindenden Krümmungs- maßes. Keineswegs ebenso gleichgültig wie für die mit I, U be- zeichneten theoretischen Strukturen ist aber der Wert des Krüm- mungsradius JR für deren Anwendung auf die Welt der Wirklich- keit. In dieser nämlich brauchen wir einen bestimmten Maßstab, 96 VI. Enter Schritt der Hypothesenbildung. etwa das Meter, oder zum Beispiel den mittleren Eadius Q der Erdbahn (rund Q = 145. 10^ m), und dann wird B einen be- stimmten Wert überschreiten müssen, wenn die Theorie zu den Beobachtungen passen soll ^). Es wird sich jetzt fragen, auf welche Tatsachen der Er- fahrung sich die Behauptung über die mindestens vorläufige Zu- lÄssigkeit und Zweckmäßigkeit der Hypothesen I, U, m gründet, femer, welche Erfahrungen zur Verfügung stehen, um zwischen ihnen selbst zu entscheiden, und ob wir das überhaupt können. In bezug auf den ersten Punkt genügt es, auf die schon besprochenen Umstände zu verweisen, daß wir erstens durch passende Wahl von B mit den Hypothesen I, 11 der Hypothese UI in quantitativer Hinsicht beliebig nahe kommen können, zweitens aber diese selbst in aller Erfahrung sich so gut bewährt hat, daß es möglich war, ihren Charakter als Hypothese ganz zu vergessen, und sie nicht nur für empirisch gewiß, sondern sogar für eine Denknotwendigkeit zu halten. Zur genaueren Prüfung unserer Hypothesen und namentlich zur Entscheidung zwischen ihnen werden wir unter diesen Umständen auch nicht beliebige, etwa im Zimmer eines physikalischen Instituts auszuführende Messungen benutzen können ^), sondern nur solche, in denen die Dimensionen des zu untersuchenden Eaumstücks möglichst groß sind. Wir sehen uns damit auf Geodäsie und Astronomie angewiesen. ^) Hier wird vielleicht noch zu sagen sein, warum wir nicht (nach dem Beispiel von Helmholtz und Anderen) versuchen, die vorgeführten mathematischen Tatsachen dem Laien mundgerecht zu machen. Wir finden, daß es schon genug solche populäre Erörterungen über Nicht- Euklidische Geometrie gibt, glauben aber außerdem, daß gerade in ihnen die Quelle von einigen der zahlreichen Mißverständnisse zu suchen ist, die in der Literatur unseres Problems vorkommen. ^) Die Idee, daß man durch Zeichnungen hier eine Entschei- dung herbeiführen kann, mag wohl öfter als einmal aufgetaucht sein. Wir finden sie schon bei Saccheri (1733). Siehe F. Engel und P. Stäckel, Theorie der Parallellinien, S. 80 (Leipzig 1895). VII. Geodätische nnd astronomische Messnngen. Es gibt nun in der Tat Folgerungen aus den Hypothesen I, n, Ulf die einer experimentellen Prüfung zugänglich sind. Daß eine solche Prüfung möglich ist, beruht darauf, daß in allen Fällen I, 11, IQ als Bahn des Lichtstrahls unter normalen Umständen sich eine geodätische Linie einstellen muß und daß die Konstruktion unserer Meßinstrumente auf alle Fälle I, II, III gleichmäßig paßt. Die Fehler, mit denen diese Instrumente von vornherein behaftet sind, sind nämlich so groß, daß die theo^ retisch allerdings vorhandenen Unterschiede in ihrer Konstruktion bei den Annahmen I, IE oder HE praktisch völlig bedeutungslos werden. Der mit diesen Instrumenten überhaupt zu erzielende Genauigkeitsgrad ist von unseren Hypothesen ganz unabhängig. Bleiben wir zunächst bei der Geodäsie, so können wir die in den Fällen I, IE, III verschiedenen Eigenschaften der Winkel- summe eines von geodätischen Linien gebildeten Dreiecks aus- zunutzen suchen. Diese Winkelsumme ist im Falle III bekannt- lich gleich zwei Rechten, im Falle I ist sie größer und im Falle U kleiner, und in beiden Fällen I, IE ist die Abweichung von zwei Rechten absolut - proportional zur Dreiecksfläche i). „Kleine" Dreiecke zeigen nun zwar keine merkliche Abweichung ihrer Winkelsumme von Jt, Wie sich aber die Sache bei hinreichend großen Dreiecken verhalten wird, können wir nicht wissen, ohne es versucht zu haben. Die sogenannte Anschauung belehrt uns, wie gezeigt worden ist, nicht darüber. Man konnte nun das ziem- lich „große" Dreieck Hohenhagen-Brocken-Inselsberg ver- messen 2). Was durfte als Resultat dieser Prüfung erwartet werden? ^) Der Ausdruck für die Dreiecksfläche oder vielmehr für die zugehörige Maßzahl ist ( W" — n) M^ Im Falle I und (n — W) E^ im Falle n, wenn W die Winkelsumme bedeutet. ^) Die Seiten dieses Dreiecks haben Längen von ungefähr 69, 85, 107 km. Study, Bealistisohe Weltansicht. 7 98 ^^> Geodätische und astronomische Messungen. Der Fall lag so, daß die nötigen EQlfstheorien hinreichend gesichert und entwickelt waren, so daß ein praktischer Kenner der höheren Geodäsie den Einfluß aller Nehenumstände auf den Ausfall des Experiments zu beurteilen vermochte. Fand sich mithin, daß die Winkelsumme des vermessenen Dreiecks merklich gr'öQer war als 7t und daß die Abweichung nicht aus den bei solchen Vermessungen immer auftretenden Fehlerquellen (mangelhafter Beobachtung, Ungenauigkeit der In- strumente, ungleicher Dichte der Atmosphäre) erklärt werden konnte, so durften damit die Hypothesen 11 und m als so gut wie definitiv ausgeschlossen gelten. I allein blieb übrig und war mit dem Grade von Sicherheit begründet, der überhaupt bei physikalischen Hypothesen möglich ist. Fand sich eine ähnliche Abweichung im entgegengesetzten Sinne, so waren I und IQ beseitigt und U blieb übrig. Fand sich drittens, daß die beobachtete Winkelsumme so nahe an 180® lag, als man bei Annahme der Hypothese m es erwarten mußte, so war damit nicht etwa diese (die Euklidische) Hypothese bestätigt, sondern die Ent- scheidung zwischen I, IE, HI überhaupt ausgesetzt. Der letzte Fall war der, der wirklich eingetreten ist. Das Ergebnis des Experiments war also zwar keineswegs Null, aber doch mit Bezug auf die hier allein zur Diskussion stehende Frage ein Non liquet. Die besprochene Vermessung ist von Gauß ausgeführt worden (Werke IV, S. 312u. f.). Daß er selbst dieses Experi- ment, ähnlich wie hier geschehen, beurteilt hat, wissen wir durch das Zeugnis von Sartorius von Waltershausen (Gauß zum Gedächtnis, S. 81). Daß Gauß, neben II, auch die Hypothese I in Betracht gezogen hat, kann allerdings nur wahrscheinlich ge- macht werden ^). Abgesehen von diesem Umstand , dem nur ein untergeordnetes Interesse zukommt, sind wir völlig sicher, die Meinung von Gauß richtig wiedergegeben zu haben. Er hat nicht daran gedacht (wie Einige meinen), durch seinen Versuch die Euklidische Hypothese „bestätigen ** zu wollen. Es bezeugen uns das seine eigenen Worte (Werke Vlli, S. 187): 1) Es kommen besonders in Betracht Fragmente, die in den Gesammelten Werken, Bd. VIII, 8.255 — 257 und 8.265 abgedruckt sind. Die zweite dieser Notizen stammt nach dem Herausgeber 8täckel schon aus der Zeit 1823 — 1827. YIL Geodätische und astronomuche Messunf^en. 99 „Alle meine Bemühungen, einen Widerspruch, eine Incon- Bequenz in dieser Nicht-Euklidischen Geometrie zu finden , sind fruchtlos gewesen, und das Einzige, was unserem Verstände darin widersteht, ist, daß es, wäre sie wahr, im Eaum eine an sich bestimmte (obwohl uns unbekannte) Lineargröße geben müßte. Aber mir deucht, wir wissen, trotz der nichtssagen- den Wort -Weisheit der Metaphysiker , eigentlich zu wenig oder gar nichts über das wahre Wesen des Raumes, als daß wir etwas uns unnatürlich vorkommendes mit Absolut Unmög- lich verwechseln dürfen. Wäre die Nicht-Euklidische Geometrie die wahre, und jene Konstante in einigem Verhältnis zu solchen Größen, die im Bereich unserer Messungen auf der Erde oder am Himmel liegen ^), so ließe sie sich a posteriori ausmitteln. Ich habe daher wohl zuweilen im Scherz den Wunsch geäußert, daß die Euklidische Geometrie nicht die wahre wäre, weil wir dann ein absolutes Maß a priori (?) haben würden" 2). Den Gedanken, durch Dreiecksmessungen womöglich eine Entscheidung herbeizuführen, hatten übrigens auch Lobat- schewski]*) und Joh. Bolyai*). Der von A. Voß (a. a. 0., S. 94) und, wenn wir nicht irren, auch schon früher von Anderen vertretenen Ansicht, daß diesem wohldurchdachten Experiment ein Zirkelschluß zugrunde liege, müssen wir entschieden widersprechen , und ebensowenig können wir zugeben, daß das die Meinung von Helmholtz war, der ganz die Anschauungen von Gauß und Riemann geteilt hat. Es ist nicht zu sehen, worin dieser Zirkelschluß liegen sollte (über dessen Natur genauere Angaben fehlen). ^) Diese Worte sind im Original nicht hervorgehoben. ^) So gut wie es ein ahsolutes Mau für Winkelgrößen gibt, kann es auch ein solches für Längen geben. 8) F. Engel, Lobatschewskij, Leipzig 1898/99, I, S. 22; II, S. 250. An der zweiten Stelle spricht Lobatschewskij allerdings von einer „Bestätigung*' der Euklidischen Hypothese. Doch handelt es sich unzweifelhaft nur um eine Nachlässigkeit des Ausdrucks, nicht um einen wirklichen Denkfehler; die erste Stelle läßt das klar er- kennen. Übrigens hat Lobatschewskij nicht ausdrücklich von geo- dätischen Messungen gesprochen. ^) P. Stäckel, Wolfgang und Johann Bolyai, Leipzig 1913, I, S. 155. 7* 100 VII. Geodätische and astronomische Messungen. Das im Texte reproduzierte Bedenken von Gauß, dem man, wie Gauß selbst sagt, keine entscheidende Bedeutung beilegen kann, ist seitdem völlig hinfällig geworden. Wir besitzen in der Tat ein absolutes, allerdings nicht (im Sinne von Kant) „a priori*' gegebenes Maß, das mit großer Genauigkeit festgestellt werden kann, in der Wellenlänge einer bestimmten Lichtsorte. Wir er- innern an Michelsons berühmte Experimente, denen zufolge ein Meter = 1503163,0 + 0,8 Wellenlängen der roten Cadmiumlinie ist. Wäre also z. B. die sphärische Geometrie „die wahre ^, so würden wir die Gesamtlänge einer geodätischen Linie in solchen Wellenlängen ausdrücken können. Oder wir könnten umgekehrt die Gesamtlänge der geodätischen Linie = 2n (d. h. jß r= 1) setzen und dann die Wellenlänge der roten Cadmiumlinie in dem dadurch gegebenen Maß ausdrücken. Natürlich darf man nun nicht etwa das Vorhandensein eines durch die Natur gegebenen Längen- (und Zeit-)maßes als ein Argument gegen die Euklidische Hypothese verwerten wollen. Eher als von der Geodäsie, die immer noch mit viel zu kleinen Dimensionen operiert, darf man von der Astronomie eine Entscheidung erwarten — immer in demselben beschränkten Sinne wie zuvor. Welche Ansicht auch immer man sich über das Wesen der Gravitation bilden mag, es kann schwerlich ein Zufall sein, daß die Abnahme der Gravitationsintensität mit der Entfernung dem- selben Gesetz zu folgen scheint, wie die Abnahme der Intensität des Lichtes. Das eine wie das andere Gesetz muß seinen Grund in den Eigenschaften des Baumes selbst haben. Man erhält nun, wenn man das zugibt, aus den Annahmen I, U, HE drei ver- schiedene Gesetze, entsprechend Ausdrücken der Form: M B^ stn h^ - III. ^• YII. Qeodätische und astronomische Mesimijigen. 101 C bedeutet hier in allen drei Fällen dieselbe Kou&tant^-, Aie so- genannte Gravitationskonstante , deren Wert nach den besten Yorliegenden Messungen (von Richärz und Krigar-Menzel) ist C = 6,685 . 10-8 (cxns . gr-i . sec-«). Sollte sich also finden, daß mit Hilfe von Gesetzen des Typus I oder 11 die Bewegungen der Himmelskörper sich besser darstellen lassen, als mit Hilfe des Newton sehen Gesetzes IQ, so dürften wir darin einen hinreichenden Grund erblicken, die Hypothese HI fallen zu lassen und sie durch eine der beiden anderen zu ersetzen ^). Aber es würde jedenfalls eine ungeheuer lange Eeihe von Beobachtungen dazu gehören, um eine derartige Abweichung vom Newton sehen Gesetz festzustellen, wenn sie in der Tat vorhanden sein sollte. Es kann nur das Planetensystem in Frage kommen, und auch in diesem sind die vorhandenen Distanzen jedenfalls noch viel zu klein. Ein brauchbareres und mit einfacheren Mitteln zu gewinnendes Resultat liefern uns, wie Lobatschewskij^) und neuerdings eingehender Schwarz« Schild gezeigt haben, Beobachtungen über die Fixstern weit. Macben wir zunächst die Annahme IE, verstehen wir unter B dasselbe wie zuvor — die positive Quadratwurzel aus dem mit — 1 multiplizierten reziproken Werte des Riemann sehen Rrüm- mungsmaßes — und nennen wir Q den Radius der zur Verein- fachung als kreisförmig angenommenen Erdbahn, so folgt, daß jeder Stern eine Minimalpara]laxe p haben muß, die durch den Ausdruck *> — ^ gegeben ist. Da aber sicher viele Sterne keine Parallaxe von 0'',05 haben, so muß der Wert dieser Minimalparallaxe unter 0",05 liegen; es ergibt sich daraus B . arc 0",05 > q oder B>4: 000 000 Erdbahnradien. ^) Diese Idee findet sich bei Lobatschewski j (Neue Anfangs- gründe, 1835); 8. Engel, a. a. O., S. 76, und auch bei den beiden Bolyai. Siehe darüber P. Stäckel in der Schrift Joannis Bolyai in Memoriam, Olaudiopoli MGMII, p. 64, nnd Jahresber. d. D. M.- V. 12, 476, 1903, femer W. und J. Bolyai (Leipzig 1918), I, S. 156, 249; n, S. 96. ») A. a. 0., S. 22—24. • •• .' • ■ • • » '• • 1Ö2* * * VtC. ^ (Geodätische und astronomische Messungen. • • :/- *•* Im*Sall4 I^* bei Annahme also eines positiven Krümmungs- maßes, führt die Untersuchung der Parallaxen nicht zu einem astronomisch verwertbaren Ergebnis. Aber in diesem Falle hat der Eaum endliche Dimensionen, und die ungeheure Menge der bekannten Fixsterne muß in ihm Platz haben. Auch über die Verteilung dieser Fixsterne im Räume gibt die Astronomie ge- wisse Aufschlüsse, so daß man wiederum Anhaltspunkte hat, um für den Krümmungsradius B eine untere Grenze zu finden. Gewiß sind solche Schätzungen sehr unsicher, und sie bedürfen noch ergänzender Annahmen über die Auslöschung des Lichtes im Weltraum. Aber alles das ist schon mehr als genügend be- rücksichtigt, wenn wir für den Eadius R denselben Minimalwert annehmen wie oben. Es darf also behauptet werden: Wenn die Hypothese I oder die Hypothese 11 zutrifft, so muß der Krümmungsradius R, dessen reziproker Wert alsdann die Abweichung in der Struktur unseres Raumes von der Euklidischen Annahme in quantitativer Hin- sicht charakterisiert, jedenfalls vierMillionenErdbahn- radien (rund 6. 10*® cm) übertreffen^). Danach gibt es keine Hoffnung, daß durch geodätische Messungen jemals eine Abweichung der natürlichen Geometrie von der Euklidischen festgestellt werden könnte, und sehr un- wahrscheinlich ist es, daß Messungen im Planetensystem dazu ausreichen sollten, zumal der Spielraum von R unzweifelhaft noch weiter eingeschränkt werden kann. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß alle Experimente, wie immer sie erdacht sein mögen, eine Entscheidung nicht herbei- führen werden. Dann wird der Physiker nie Anlaß haben, die ihm bequeme Euklidische Hypothese aufzugeben. Aber ebenso- wenig wird er schließen dürfen, daß sie „die richtige" ist. Die Entscheidung wird nur immer weiter hinausgeschoben, und die zulässigen Werte des Krümmungsmaßes werden in immer engere Grenzen eingeschlossen. Auch das wird ein positives Ergebnis sein und, wie uns scheint, des Schweißes der Edlen wert. ^) Schwarzschild, Über das zulässige ErümmungsmaO des Baumes, Viertel Jahrsschrift der Astronomischen Q-esellschaft, Jahrgang 85, S. 837, 1900. Vgl. dazu Harzer, Die Sterne und der Raum, Jahresber. d. D. M.-V. 17, 237, 1908. viri. Zweiter Schritt der Hjpothesenbildung. Bis hierher haben wir uns mit der H3rpothesenbildung an die Möglichkeiten der Erfahrung gehalten, die sich nur auf ein be- grenztes Raumstück bezieht. Gehen wir aber über dieses hinaus, so hat die systembildende Phantasie noch einen unermeßlichen Spielraum, und diesen dürfen wir verwerten, um die Forderung der Einfachheit der Hypothesen noch weiter auszunutzen. Das unserer Erfahrung zugängliche Eaumstück hat scharfe Grenzen nicht, und es widerstrebt unserem Geiste, solche räumliche Grenzen einer möglichen Erfahrung, also durch die Natur gegebene Grenzen des empirischen Baumes, anzunehmen. Es würde außerdem eine große und völlig zwecklose Erschwerung für die Anwendung der Mathematik bedeuten, wollten wir — was an sich nicht unmöglich ist — unserem Räume solche Eigenschaften — singulare Stellen — zuschreiben, wie wir sie beispielsweise (in einer Dimension weniger) bei allen analytischen Flächen von konstanter negativer ICrümmung im Euklidischen Räume finden^). Nicht weniger nutzlos, weil durch keine Erfahrung motiviert, sind andere mehr oder minder verwickelte Annahmen, die Zusammenhangseigenschaften des empirischen Raumes im Ganzen betreffen und durch die Hypo- thesen I, U, HI ebenfalls noch nicht ausgeschlossen sind. Eine solche nutzlose Verwickelung, die keiner Erfahrung entspricht, würde die Zulassung geschlossener Kurven im Räume sein, die nicht kontinuierlich auf einen Punkt zusammengezogen werden können, wie es (wieder in einer Dimension weniger) bei einem Rotationszylinder oder einer Ringfläche eintritt. Wir werden uns also unter allen den Annahmen, die die Struktur des empirischen Raumes im Ganzen betreffen und die mit den schon gemachten und nun auf den ganzen Raum aus- zudehnenden Hypothesen I, H, HI verträglich sind, wieder die ^) Hubert, Grundlagen der Geometrie, 2. Aufl., Leipzig 1903, Anhang V. 104 VIII. Zweiter Schritt der Hypothesenbildun^. einfachsten aussuchen dürfen; wir werden dann zwar Hypo- thesen bilden, die sich zurzeit und zum Teil auch immer jeder Kontrolle durch die Erfahrung entziehen, die aber mit dieser Er- fahrung eben deshalb auch nicht in Widerspruch kommen. Was wir damit erreichen, ist vor allem eine möglichst große Bequem- lichkeit in der mathematischen Bearbeitung der von der Erfahrung gelieferten Tatsachen. Zu den hiernach erwünschten neuen Hypothesenbildungen, die nichts anderes sein sollen, als zweckmäßige Präzisierungen, konkretere Ausgestaltungen der schon gemachten Hypothesen I, n, m, gelangen wir wiederum durch Idealisierung einer Eigenschaft, die wir an den im physikalischen Sinne „starren^ Körpern wahrnehmen. Die Beweglichkeit eines solchen Körpers ist nämlich unabhängig von seinen Dimensionen: Diese können, soweit unsere Erfahrung reicht, beliebig vergrößert werden. Dies veranlaßt uns, in jedem der Fälle I, IE, III die Fiktion eines — nun im mathematischen Sinne — starren Körpers zu bilden, der den ganzen Raum ausfüllt und doch noch in gleicher Weise beweglich ist, wie ein irgendwie begrenzter starrer Körper in beschränktem Gebiet ^). Mit anderen Worten, wir stellen nunmehr die Forderung auf, daß die Bewegungen (deplacements) genannten Transformationen, die in unseren drei Mannigfaltigkeiten kon- stanten Krümmungsmaßes an Stelle der physischen Bewegungen physisch-starrer Körper treten, eine Gruppe bilden sollen (vgl. S. 81). Das hatten wir bisher noch nicht verlangt. Es bilden nämlich zwar tatsächlich die von uns erklärten „Bewegungen'' in den Fällen I, 11, III je eine Gruppe, wir hatten aber nur einen Ausschnitt aus dem sphärischen, pseudosphärischen oder Euklidischen Räume betrachtet, und in diesem FaUe würden wir durch im Räume selbst auszuführende Messungen — mindestens bei hinreichender Kleinheit des Ausschnitts — über die Eigen- schaften unseres Raumes im Großen präzise Aussagen nicht machen können. Es könnte zum Beispiel sein, daß ein begrenzter starrer Körper, der wiederholt derselben Bewegung unterworfen wird, schließlich an Grenzen des Raumes gelangte, so daß also schon die unbedingte Zusammensetzbarkeit zweier „Bewegungen" nicht mehr bestände. Wir würden zum Beispiel nicht unterscheiden können ^) Siehe die Anmerkung auf S. 82. YlII. Zweiter Schritt der Hypothesenbildung. 105 zwischen dem beobachteten Stück eines sphärischen Baumes und einem Stück eines anderen Raumes von konstantem positivem Riemannschem Krümmungsmaß ^). Derartige Annahmen, die den Physiker nicht interessieren könnlan, werden also jetzt aus- geschlossen. Die Beantwortung der nunmehr gestellten Frage verdanken wir W. Killing. Sein Ergebnis ist, daß von den sonst vor- handenen Möglichkeiten in den Fällen IE, III nur noch eine ein- zige übrig bleibt, während sich die Hypothese I in zwei bestimmter gefaßte Annahmen spaltet 2). Wir gelangen zu der folgenden — sehr viel schärferen — Fassung unserer letzten Hypothesen: Die natürliche Geometrie stimmt — so wird nun- mehr angenommen — genau (nicht nur im erkennbaren Baumstück) überein mit irgend einem der folgenden, mit Ia,Ib, U) m bezeichneten Systeme abstrakter Geometrie. la. Sphärische Geometrie. Diese hatten wir bereits charakterisiert. Es ist hier aber wohl der Ort, eines Umstandes zu gedenken, der Laien als be- sonders anstößig zu erscheinen pflegt. Die geodätischen Linien (Lichtwege) sind in diesem Falle geschlossen und haben eine endliche Länge (2 B Jt), wie auch der Baum der sphärischen Geo- metrie ein endliches Volumen (= 2B^yt^) hat. Der Stein des Anstoßes wird hinweggeräumt durch die einfache Bemerkung, daß für die in Betracht kommenden Werte von B (S. 102) eben auch schon diese Dimensionen über alle Vorstellung groß sind. Die sogenannte Anschauung widerspricht nicht der Geschlossen- heit der geodätischen Linien , weil sie nicht so weit reicht und überhaupt über Bealitäten nur so weit einige Auskunft zu ver- geben vermag, als sie selbst eine Bearbeitung von Erfahrungen darstellt (S. 64 ff.). Ib. Elliptische Geometrie. Diese entsteht aus der sphärischen, wie man sagen darf, durch eine geeignete Projektion der sphärischen Mannigfaltigkeit 1) S. F. Schur, Math. Ann. 27, 163, 537, 1886; 28, 343, 1887. 3) Siehe den oben zitierten Artikel der Mathematischen Enzyklo- pädie, 8. 114, und die dort angeführte Literatur. Durch die neue Hypo- these des Textes werden unter Anderem auch die sogenannten Clif f ord- Kleinschen Baumformen ausgeschlossen. 106 VnL Zweiter Sehritt der Hypothesenbildaiig, in das nneigentliche Gebiet des vierdimenBionalen Punktkontinuuins, (^ot ^1 ^21 ^3)1 innerhalb dessen man die sphärische Mannigfaltigkeit bei der hier zugrunde gelegten Eoordinatendarstellung deuten wird. Je zwei diametral gegenüberliegende Punkte , das heißt Zahlenquadrupel der Form ^0» ^11 ^2» ^8 ^nd Xoi — Xif — X2, — x^, werden dadurch zu einem neuen, nunmehr Punkt genannten Begriff zusammengefaßt. Ebenso werden zwei „Bewegungen" in der sphärischen Geometrie^ deren jede aus der anderen durch Zu- sammensetzung mit der involutorischen Bewegung Xo = — Xq, a?i == — ^» icj = -^^2, x^ = — J3 entsteht, nicht mehr unterschieden, sondern als eine einzige neue „Bewegung" gefaßt. Entsprechend ändert sich der Begriff der Kongruenz. Die Vieldeutigkeit des als Entfernung zweier Punkte X, y zu bezeichnenden Begriffs wird größer, es übernimmt nun der Ausdruck E.arccos < ±^ (xo^o + ^li^i + ^2^2 + ^8^8)/ die Bolle des in der sphärischen Geometrie Entfernung genannten Ausdrucks. Der Ausdruck für das quadrierte Bogenelement da- gegen bleibt derselbe wie zuvor. Wichtig ist zu bemerken, daß man die sphärische und die elliptische Geometrie nicht unterscheiden kann, wenn man sich auf die Betrachtung eines hinreichend kleinen Eaumstücks, ins- besondere auf die Betrachtung der Punkte im Inneren einer sphä* rischen dreidimensionalen Halbkugel, z. B. der Halbkugel aro > beschränkt. Daneben aber sind die Unterschiede der sphärischen und der elliptischen Geometrie wohl zu beachten. Während z. B. in der sphärischen Geometrie alle von einem Punkte ausgehenden geodätischen Linien (Lichtwege) in einem zweiten Punkte, dem diametral gegenüberliegenden, zusammentreffen, geht in der ellip- tischen Geometrie durch zwei verschiedene Punkte immer nur eine einzige geodätische Linie. Die geodätischen Linien haben die halbe Länge und der Eaum hat das halbe Volumen, wie im Falle der sphärischen Geometrie. Als Koordinaten eines Yin. Zweiter Schritt der Hypotliesenbildung. 107 ^Punktes ** können in der elliptischen Geometrie schon die Ver* hältniszahlen dienen. Damit wird, ungleich der sphärischen, die ellip- tische Geometrie unmittelbar in die projektive Geo- metrie eines dreidimensionalen Zahlenkontinuums ein- geordnet. In dieser nämlich ist ein Punkt gerade durch solche vier Verhältniszahlen definiert n. Die pseudosphärische Geometrie. Hier ist zu bemerken, daß der soeben verwendete, als Projektion ins uneigentliche Gebiet bezeichnete Abbildungsprozeß nicht wie zuvor zu einer (2— 1)- deutigen, sondern zu einer (1 — 1)- deu- tigen Abbildung zwischen zwei verschiedenen Punktmannigfaltig- keiten führt. Wir können jetzt den Punkt der pseudosphärischen Geometrie selbst schon durch vier YerhältnisgrÖßen: * — ^ * 2 * S deutlich bezeichnen, die, übrigens beliebig, an die Ungleichung x^ — x^ — x^ — x^ > gebunden sind. Wir können also, ungleich der sphäri- schen, die pseudosphärische Geometrie selbst schon der projektiven Geometrie eines dreidimensionalen Zahlenkontinuums unterordnen ^). Aus dieser Tatsache ergibt sich die Möglichkeit, die pseudo- sphärische Geometrie mathematisch auf eine Art zu behandeln, die nicht analog ist zur Behandlung der sphärischen, sondern zur Behandlung der elliptischen Geometrie. Dies kommt in der üblichen Terminologie zum Ausdruck: Man redet von einer hyper- bolischen Geometrie und meint damit die auf die zweite Art mathematisch bearbeitete pseudosphärische Geometrie. Gewöhnlich spricht man sogar nur von dieser, weil man die Einordnung des Gegenstands in das System der dreidimensionalen projektiven Geometrie für das Bequemste und Einfachste hält. Aber hierbei fällt nicht nur die doch auch vorhandene Analogie mit der sphäri- schen Geometrie unter den Tisch, sondern es hat auch die ürteils- ^) Vergleiche jedoch die Anmerkung auf S. 108. 108 VIII. Zweiter Schritt der Hypothesenbildung. bildung, wonach diö Einordnung in die Systematik der gewöhn- lichen projektiven Geometrie einen besonderen Vorzug dieser Art der Behandlung des Stoffes bilden soll, nur eine zweifelhafte Berechtigung. Das Minkowskische Weltbild nötigt gerade zu der anderen Auffassung, bei der die zu benutzenden Koordi- naten durch eine Gleichung aneinander gebunden sind, und nur, weil man dem (großen) Unterschied nicht Rechnung trägt, den diese Änderung des Stand- punktes in methodischer Hinsicht bedingt, wird auch bei Unter- suchungen solcher Art noch von „hyperbolischer" Geometrie geredet ^), Für den hier eingenommenen erkenntnistheoretischen Stand- punkt sind natürlich pseudosphärische und hyperbolische Geometrie völlig äquivalent, sie würden experimentell auf keine Weise zu unterscheiden sein. ni. Die Euklidische Geometrie. Die Euklidische Geometrie ist von vornherein der projektiven Geometrie im dreidimensionalen Zahlenkontinuum untergeordnet. ^) Der Unterschied liegt darin, daß man in verschiedenen Batio- nalitätsbereichen operiert. In der pseudosphärischen Geometrie benutzt man Größenquadrupel, die von vornherein der Gleichung des Textes genügen. In der hyperbolischen Geometrie dagegen sind zunächst nur die Verhältnisse gegeben, und dann hat man noch eine quadratische Gleichung auf- zulösen, um jene bestimmtere Form der Koordinaten zu erhalten. Das hat mathematisches Interesse, aber keine physikalische Bedeutung. Bemerkt sei noch, daß die Ausdehnung der Begriffe der pseudo- sphärischen Geometrie auf das komplexe Gebiet dazu nötigt, auch schon im reellen Gebiete die Ungleichung Xq"^ R fallen zu lassen, also den Baum der reellen hyperbolischen Geometrie doppelt zu setzen oder mit zwei „ Blättern '^ zu überdecken. Die so erklärte „pseudosphärische'' Geometrie ist dann ein vollkommenes Seitenstück zur sphärischen, was bei der (abweichenden) Worterklärung des Textes noch nicht ganz zutrifft. In der rein -mathematischen Theorie wird man also nicht vier, sondern fünf Fälle unterscheiden: la. sphärische, IIa. „pseudosphärische'' Geometrie, Ib. elliptische, IIb. hyperbolische Geometrie, in. Euklidische oder parabolische Geometrie. Vin. Zweiter Schritt der Hypothesenbildung. 109 Man hat sie, um die Analogie mit der elliptischen und hyper- bolischen Geometrie fühlbar zu machen, auch als parabolische Geometrie bezeichnet 1). Elliptische, hyperbolische und parabolische Geometrie haben das gemein, daß die geodätischen Linien (die idealisierten Lichtwege) gerade Linien sind in dem in der (abstrakten) projektiven Geo- metrie üblichen Sinne des Wortes : Sie werden aus dem projektiven Punktkon tinuum, dessen „Punkt" auch im Falle der parabolischen Geometrie durch vier Verhältnisgrößen erklärt werden kann, durch zwei lineare Gleichungen abgeschieden. Zu erwähnen ist noch, daß man statt von den besprochenen Systemen abstrakter Geometrie häufig auch von verschiedenen „Arten des Raumes" redet: Man spricht von einem sphäri- schen, elliptischen usw. Eaume. Man meint aber damit nichts Anderes, als was wir auch gemeint haben , also nicht ein Zahlen- kontinuum schlechtweg, sondern ein Zahlenkontinuum samt einer zugehörigen Gruppe von „Bewegungen", einem entsprechenden EntfernungsbegrifE usf. Blicken wir nun zurück, so müssen wir uns sagen: Es ist das nicht erreicht, was wir von vornherein als wünschenswert betrachten werden. Wir müssen uns eine Beschränkung auferlegen: Die Natur verweigert die Antwort auf unbescheidene Fragen. Wir müssen es für unvorsichtig halten, zurzeit auch nur eine Vermutung darüber auszusprechen, in welcher unserer vier geometrischen Strukturen wir das Abbild der unbekannten Wirklichkeit zu erblicken haben. Mit Präzision ausgestattet sind sie alle, und als Annäherungen an die Tatsachen, zum Mindesten an die nächstliegenden Erfahrungen, 1) Das vollständige System der betrachteten vier Arten der Maß- geometrie findet sich, samt der Terminologie: Sphärische, elliptische, hyperbolische, parabolische Geometrie, unseres Wissens zuerst in Schriften von F. Klein, doch ohne den erst von Killing geführten Beweis seiner Vollständigkeit. Die „pseudosphärische" Geometrie findet sich im Grunde schon bei Beltrami (s. die Anmerkung auf S. 119), dann, der „hyperbolischen" gegenübergestellt, doch ohne den hier gebrauchten Terminus, bei Killing und F. Klein. 110 yill. Zweiter Schritt der Hypothesenbildang. leisten sie alle vier Dasselbe. Wenn, wie es uns vorkommen mag, die mathematische Behandlung der Hypothese m den Vorzug etwas größerer Einfachheit hat, so darf uns das nicht verführen ^ darum die übrigen a limine zu verwerfen. Groß erscheinen die Unterschiede im Komplikationsgrade dem erfahrenen Mathematiker jedenfalls nicht, während der Unterschied irgend einer der vier Annahmen von sonstigen Möglichkeiten unzweifelhaft sehr groß ist. In physikalischer Hinsicht aber, nämlich in der Anwendung auf die kosmische Physik, bieten alle vier Hypothesen große Schwierig- keiten — auch die Euklidische mit ihrer Annahme eines un- endlichen Baumes ^). Übrigens braucht man die Urteilsbildung gar nicht zu unterschreiben, wonach die Euklidische Hypothese „einfacher" sein soll, als die mit ihr konkurrierenden Hypothesen. Es hat vielmehr eine jede der vier Hypothesen ihre eigentümlichen Vorzüge. Für die Hypothesen la, Ib ist das schon bekannt (endlicher Baum, Prinzip der Dualität), daß aber auch für die Hypothese 11 Ähnliches gilt , denken wir an anderer Stelle nach- zuweisen. Kommt uns die Hypothese IH als die einfachste vor, so dürfen wir nicht vergessen, daß man eben diesen Fall HI ge- nauer untersucht hat als die anderen, und daß uns das Vertraute immer als einfacher erscheinen wird, als das Unbekannte oder ^) Eine vielfach empfundene Schwierigkeit entsteht in den Fällen II, III aus der Annahme einer Erhaltung der Energie, da es dann nicht klar ist, was das für die Welt im Ganzen bedeuten soll. Andere nicht geringere Schwierigkeiten erörtert Harzer in der zitierten Abhandlung. Bettet man sich aber zur Annahme I, so kommt man aus der Scylla in die Gharybdis. Es ist nicht auszudenken, zu was für Folgerungen dann die nicht abzuleugnende Erscheinung der Energiezerstreuung nötigt, wenn man den Zeitverlauf rückwärts verfolgt, und auch die Ausbreitung von Wirkungen in Baum und Zeit führt zu mindestens sehr kuriosen Eonsequenzen. Es ist wohl mit der Möglichkeit zu rechnen, daß einmal aus physikalischen Gründen die eine oder andere der Annahmen la, Ib, II, III aufgegeben werden muß. Vorläufig aber wird es Schwierigkeiten haben, derartige Argu- mente zu wirklicher Überzeugungskraft zu verdichten. (Es hat nicht an Yersuchen gefehlt. Einiges darüber findet man bei Erdmann, Axiome der Geometrie, Leipzig 1877, S. 75, und Wassiljeff : Lobatsehewskij, Abhandlungen zur Geschichte der Mathematik, Heft YII, 1895, S. 2S5.) Kennt man z. B. nicht aUe möglichen Energieformen, so kann man auch keine Aussagen machen üb^er etwaige obere Grenzen von Energie- dichten. Alles ist so wenig geklärt, daß die im Texte eingenommene abwartende Stellung die zurzeit allein mögliche zu sein scheint. Vin. Zweiter Schritt der Hypothesenbildung. 111 Fremdartige. Ein historisches Recht, ein Recht der Erstgeburt, darf eine objektiv sein wollende Wissenschaft nicht anerkennen. Einige werden vielleicht auch dem Umstände ein gewisses Gewicht einräumen wollen, daß der Falllll ein ausgezeichneter Spezialfall oder Grenzfall ist. Der Wert Null des E[rüm- mungsmaßes ist ja nicht irgend ein Wert wie etwa K= 17,4825 .... Die Bewegungsgruppe hat im Falle III eine ganz andere Struktur als in den beiden anderen Fällen (Existenz einer dreigliedrigen Untergruppe mit vertauschbaren Transformationen). Aber darum darf man noch nicht der Hypothese HI eine besondere Wahr- scheinlichkeit zuschreiben. Die Natur braucht sich nicht um unsere etwaige Vorliebe für bestimmte Gruppenstrukturen zu kümmern. Man kann auch nicht etwa argumentieren: „Es ist doch schwerlich ein Zufall, daß die in Betracht kommenden Werte des Krümmungsmaßes sich von der Null nur sehr wenig unterscheiden.^ Das wäre ein pragmatistisches Argument. Viel und wenig, groß und klein sind ja konventionelle Begriffe. Wie schon hervor- gehoben, kann das Krümmungsmaß, sobald es nur von Null ver- schieden ist, durch passende Wahl der Maßeinheit jedem beliebigen positiven (I) oder negativen (11) Wert gleichgemacht werden. Daß ein Längenmaß, dessen Wahl zu den Werten K= 1 oder K= — 1 führen würde, über alle unsere Vorstellung groß sein muß, spricht nicht gegen seine Existenz, wie die in der Astronomie überall auftretenden großen Zahlen zur Genüge beweisen. Als Ergebnis unserer Betrachtung darf angesehen werden: 1. Daß, wie immer auch die natürliche Geometrie beschaffen sein mag, ein Unterschied zwischen ihr und irgend einer der vier bezeichneten Arten der Maßgeometrie mit unseren gegen- wärtigen Hilfsmitteln nicht oder nur sehr schwer festgestellt werden kann. 2. Daß unter allen denkmöglichen Annahmen diese vier Arten der Maßgeometrie den Vorzug haben. 3. Daß man unter diesen vier Annahmen selbst wieder, bis auf Weiteres, der Euklidischen den Vorzug geben mag und daß diese auch dauernd ihren Wert beibehalten wird, wo nicht allzu große Distanzen ins Spiel kommen. 112 yni. Zweiter Schritt der Hypothesenbildung. 4. Daß es übereilt sein würde, damit die erkenntnistheore- tische Frage nach der Struktur des empirischen Raumes als er- ledigt anzusehen. Alle vier Arten der Geometrie erhalten nun durch ihre minde- stens sehr nahe Beziehung zur Erfahrung ein besonderes Interesse unter der unendlichen Mannigfaltigkeit geometrischer Systeme, die die Phantasie des Mathematikers, „der mathematische Spiel- trieb **, sich ausdenken mag. Es mag bequem sein, für diese vier besonders wichtigen geometrischen Systeme ein gemeinsames Wort zu haben. Wir erlauben uns den Vorschlag, einen von Helm- holtz geprägten Terminus in diesem Sinne zu erklären: Wir wollen die genannten vier Systeme dreidimensionaler Geometrie Systeme physischer Geometrie nennen: Cum grano soZts, in der Physik anwendbare Systeme abstrakter Geometrie *). ^) Es ist möglich, daß Helmholtz* Definition seiner „physischen Geometrie" zu dem später zu erörternden Mißverständnis Poincarös Anlaß gegeben hat. Helmholtz "bedient sich nämlich an dieser Stelle der Fiktion einer mit Präzision ausgestatteten Erfahrung. Nor hat er, der so oft die XJngenauigkeit aller Erfahrung erörtert hatte, durch einen unglücklichen Zufall gerade da, wo es darauf ankam, vergessen, zu sagen, daß er eine Fiktion brauchen wollte. Was Helm- holtz selbst gemeint haben wird, ist demnach identisch mit dem, was wir natürliche Geometrie nennen: Wäre die Erfahrung präzise, so könnten wir die Entscheidung treffen, die wir tatsächlich aussetzen mußten. Keinenf alls hat Helmholtz den Unterschied zwischen abstrakter Geometrie und ihrer Anwendung auf den empirischen Baum verkannt. Siehe z.B. seine Besprechung von Biemanns Habilitations- schrift im Vortrag „Über den Ursprung und die Bedeutung der geometrischen Axiome*. (Populäre wissenschaftliche Vorträge, in. Heft, Bratmschweig 1876, S. 86ff.) IX. Besprechung von Einwänden. Pragmatistische und posiäyistische Ansichten des Ranmproblems. In der vorausgehenden Erörterung haben wir mit Absicht einige Punkte unberücksichtigt gelassen, die schließlich doch wohl nicht übergangen werden dürfen. Wir wollen zunächst gewisse Einwände besprechen, die gegen den Grrundgedanken der vor- geführten Überlegungen geltend gemacht worden sind. Untunlich ist es freilich, Alles eingehend zu würdigen, was an Verfehltem in der ausgedehnten Literatur über das Eaum- problem zutage gefördert worden ist. Z. 6. wird kein Mathematiker, der die Theorie der krummen Flächen kennt, den Einwand ernst nehmen, daß die auszu- führenden Messungen im Baume selbst vor sich gehen müssen^), oder daß unsere Instrumente und Messungsmethoden das Par- allelenaxiom zur Voraussetzung hätten 2). Völlig sinnlos, aber gleichwohl schon aufgetaucht, ist gar der Einwand, daß wir nur Körper und nicht den Raum selbst ausmessen können. Natürlich kann man, statt z. B. vom Volumen eines Raumstücks zu reden, auch vom Volumen eines (annähernd) starren Körpers reden, der das Raumstück ausfüllt. Da nun aber der physisch-starre Körper als mathematisch- starrer Körper ideali- siert werden kann, und das „Volumen" dieses letzten durch eine Formel (ein dreifaches Integral) ausgedrückt wird, die sich un- 1) Natorp, a. a. 0., S. 301 unten. Dort wird Ganß der Vorwurf gemacht, daß er an diesen Umstand nicht einmal gedacht habe 11 Da- neben halte man, was derselbe Autor auf S. 325 seines Buches sagt. ^) Aloys Müller, Das Problem des absoluten Baumes und seine Beziehung zum allgemeinen Baumproblem. Braun- schweig 1911, S. 126. Study, Realistische Weltansicht. g 114 IX. Besprechnog von Einwänden. mittelbar auf die Koordinaten der Punkte des idealisierten Körpers^ also auf das von ihm eingenommene Raumstück bezieht , so ist nicht zu sehen, was es für einen Sinn hat, den Begriff des Raum- volumens vermeiden zu wollen. Niemand behauptet ja, daß man ohne Hilfe starrer Körper solche Raumvolumina messen kann. Übrigens ist auch nicht zu begreifen, warum die Urheber des be- sprochenen Einwandes nicht gleich noch einen Schritt weitergehen, warum sie nicht verlangen, daß vom „Volumen" eines gewissen Empfindungskomplexes gesprochen werde; denn der besprochene Einwand gehört dem positivistischen Gedankenkreis an, und für den konsequenten Positivismus ist der starre Körper ein Empfin- dungskomplex. Ganz ebenso verfehlt wie der letzte Einwurf ist die Erinne- rung an den Umstand, daß es im strengen Sinne starre Körper nicht gibt, da die physische Existenz solcher Körper doch nicht behauptet oder benutzt wird. Nicht von schwererem Kaliber ist ferner, wenigstens in seiner ursprünglichen Form, der Hinweis auf den Umstand, daß man dreidimensionale Kontinua in mannigfacher Weise aufeinander abbilden kann. Man scheint zu glauben, daß Gauß, Riemann oder Helmholtz das nicht gewußt oder nicht gegenwärtig gehabt hätten. Hätte dieser Einwand, der besonders Laien einzuleuchten pflegt, irgend einen Sinn, so könnte man aus der Existenz von Landkarten auf die Unmöglichkeit der höheren Geodäsie schließen, während natürlich die Herstellung brauchbarer Karten die höhere Geodäsie zur Voraussetzung hat. Wie Jeder weiß, darf man auf einer ebenen Landkarte nicht mit gewöhnlichem Maße messen wollen, sondern es muß ein ver- änderliches Maß benutzt werden, das durch die Art der Ver- zerrung der Karte bestimmt ist. In diesem Maße ausgedrückt sind aber alle Dimensionen der Karte proportional den ent- sprechenden Dimensionen auf der Erdkugel; hätten wir nicht gleichzeitig das gewöhnliche Maß zur Hand, so würden wir die Verzerrung der Karte überhaupt nicht als solche wahrnehmen und bezeichnen können. So ist auch ein ,, verzerrtes" Bild der wirklichen Welt von dieser gar nicht zu unterscheiden, weil eben wir selbst und alle unsere Maßstäbe zu dieser Welt gehören und mit ihr verzerrt werden. Verhalten sich zwei Längen wie 1 : 2, so tun sie es auch in jedem verzerrten Bilde, wenn man, wie es IX. Besprechung yon Einwänden» 115 durchaus geschehen muß, die verzerrten Längen mit den ver- zerrten Maßstäben mißt. Da wir aber andere Maßstäbe als solche, die mit verzerrt werden, in unserem Falle gar nicht kennen, so hat es keinen Sinn, da überhaupt noch von einer Verzerrung zu reden ^), Einen anderen Charakter hat jedoch eine Modifikation des letzten Einwands, die in der philosophischen Literatur ihren Ursprung haben soll, dem Verfasser aber erst in Schriften von H. Poincare begegnet ist. Diesen Einwand wollen wir ausführ- lich besprechen, einmal um der wohlverdienten Autorität des ge- nannten Mathematikers willen, dann aber auch, weil der Einwand selbst uns lehrreich zu sein scheint, und Licht auf andere Fragen ähnlicher Art zu werfen geeignet ist. Poincare argumentiert so: Man kann z.B. den hyper- bolischen Raum (d. h. ein Zahlenkontinuum, das als Substrat der hyperbolischen oder pseudosphärischen Geometrie dient) auf ein Stück des Euklidischen Raumes abbilden. Folglich läßt sich Alles, was man in der Sprache der hyperbolischen Geometrie ausdrücken kann, auch in der Sprache der Euklidischen ausdrücken. Sollten also irgend welche zurzeit noch unbekannten Tatsachen uns zwingen, die überlieferten Anschauungen zu ändern, so könnte die Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment auf zwei Wegen wieder hergestellt werden : „Wir könnten der Euklidischen Geometrie entsagen oder [zugleich mit anderen physikalischen Gesetzen] die Gesetze der Optik abändern und zulassen, daß das Licht sich nicht genau in gerader Linie fortpflanzt.^ ^) Der Sachverhalt läßt Bich besonders einfach in der Sprache der Gruppentheorie ausdrücken. Bei durchweg eindeutiger und stetiger Abbildung zweier Zahlenkontinua aufeinander wird jeder Transforma- tionsgruppe im ersten eine zu ihr ähnliche Gruppe im zweiten zu- geordnet. Im genannten Sinne „ähnliche" Gruppen aber sind hier äquivalent. Keine zwei der vier Bewegungsgruppen la, Ib, 11, III sind nun zueinander ähnlich. So wenig ihre Unterschiede durch die genannten Abbildungen zerstört werden können, so wenig können es die Unterschiede der zugehörigen MaßbegrifCe. Der ganze Einwand scheint daraus entstanden zu sein, daH die mathematische Terminologie „Sphärisoher Baum**, „Euklidischer Baunti** usw. nicht richtig aufgefaßt worden ist. Siehe S. 109. Vgl. auch die lesenswerte Schrift von E. Hausdorff, Das Baumproblem (Annalen der Naturphilosophie 8, 1903). 8* 116 IX. Besprechung von Einwänden. „Es ist unnütz, hinzuzufügen** —fährt Poincare fort—, „daß Jedermann die letztere Lösung als die vorteil- haftere ansehen würde** ^). Die Prämisse ist richtig, aber der letzten so bestimmt hingestellten Behauptung müssen wir ebenso bestimmt wider- sprechen ^). Man mache sich die Sache wieder am Beispiel der Geodäsie klar. Man stellt aus technischen Gründen Stücke der Erdober- fläche, die wir als kugelförmig annehmen wollen, auf ebenen Flächen dar. Man weiß aber auch, daß alle diese Karten nur verzerrte Bilder der Wirklichkeit geben; wenn man eine gewisse — erreichbare — Genauigkeit haben will, so ist der Rückschluß aus der Karte auf die realen Verhältnisse ein nicht ganz einfacher Prozeß wegen des veränderlichen, vom Ort und vielleicht auch noch von der Richtung abhängigen Maßstabes der Karte. Ferner muß die Menge und Willkür der Bilder, die man für dieselbe Sache hat, dann ebenfalls als sehr störend empfunden werden. Unendlich viel Besseres leistet bekanntlich ein Globus, der will- kürfrei hergestellt werden kann. Kein Kartograph wird sich zu uns in Widerspruch stellen, wenn wir sagen: Die Hypothese von der Kugelgestalt der Erde müßte als die bei Weitem einfachste auch dann gemacht werden, wenn wir lediglich Messungen im genauen Meeresniveau und z. B. innerhalb Deutsch- lands zur Verfügung hätten. Diese Hypothese müßte gemacht werden, lediglich, weil sie zweckmäßig ist. Ob sie „richtig** oder „falsch** ist, bliebe dabei ganz unentschieden, ja diese Frage könnte, so wie sie hier gemeint ist, nicht einmal gestellt werden: Es ist klar, daß die hier als die einzigen vorausgesetzten Hilfs- mittel nicht zu unterscheiden erlauben zwischen dem Kugelstück und einem daraus durch Verbiegung entstandenen Stück einer anderen Fläche. Wohl aber wird die Annahme, das betrachtete Stück der Erdoberfläche sei eben, auch schon mit diesen Hilfs- mitteln als falsch erkannt. Wäre diese Annahme zulässig, so gäbe es kein Problem der Kartenprojektion und keine höhere Geodäsie. ^) Wissenschaft und Hypothese, 2. Aufl., Leipzig 1906, S. 74. ^) Auch Enriques weist in der zitierten Schrift diesen Schluß zurück (S. 266 ff.). IX. Besprechung von Einwänden. 117 Genau so liegt die Sache im vorliegenden Falle i). Die prak- tische Leistung Euklidischer Modelle einer dreidimensionalen Nicht-Euklidischen Welt aber würde unendlich viel geringer sein als die der Landkarten, da wir wohl eine Karte, nicht aber auch ein solches Weltmodell sinnfällig herstellen können. Außerdem halten uns die Weltkörper nicht still, wie Berge und Meere es doch einigermaßen tun. An Stelle des Modells hätte man in der Praxis ein Tabellenwerk zu setzen, das die Dimensionen einer Bibliothek annehmen müßte. Dazu kommt noch eine theoretische Schwierigkeit: Im Weltraum haben wir nicht, wie auf der Erde, eine feste Triangulationsbasis. Wenn Poincare in seiner Polemik gegen gewisse Autoren — es müssen wohlGauß, Riemann undHelmholtz gemeint sein — von einer „völligen Verkennung des Wesens der Geometrie" redet 2), so ist zu erwidern, daß er die ganze Frage mißverstanden hat. tls handelt sich keineswegs — wie er sagt — um Empi- rismus in der Geometrie, sondern um die Rolle der Geo- metrie im Empirismus 8). Poincare kämpft gegen ein Phantom. ^) Abgesehen von der Dimensionenzahl besteht der ganze Unter- schied darin, daß die fingierte Erdoberfläche von uns als Fläche in einem dreidimensionalen Baume aufgefaßt wird. Das ist aber keine logische Notwendigkeit, man kann davon absehen, und dann verhält sich der Baum der Erfahrung, der uns nur eine innere Geometrie zeigt, ganz so wie das Beispiel im Texte. 2) Bull. d. Sciences mathömatiques, 2« sör., 26, 249, 1902: „On a d6jk beaucoup 6crit sur les g^om^tries non-euclidiennes; aprös avoir cri^ au scandale, on s'est habitu^ ^ ce qu'elles ont de paradoxal; plusieurs personnes sont all6es jusqu' k douter du postu- latum, k se demander si Tespace r^el est plan, comme le supposait Euclide, ou s'il ne präsente pas une 16gere courbure. EUes croyaient m^me que Texpörience pouvait " leur donner une r^ponse ä cette question. Inutile d'ajouter que c'^tait \k möconnaitre compl^tement la nature de la G^om^trie, qul n'est pas une science exp^rimentale.** ^) Siehe das vorausgehende Zitat und die folgende Stelle im Buche „Wissenschaft und Hypothese", S. 81 : „Wie man sich auch drehen und wenden möge, es ist unmöglich, mit dem Empirismus in der Geometrie einen vernünftigen Sinn zu verbinden." Wir sind ganz derselben Ansicht, finden aber, daß die Mahnung sich an eine verkehrte Adresse richtet. Daß das Mißverständnis Poincar^s weitere Kreise ziehen würde, war bei der großen Autorität dieses Mathematikers zu er- 113 IX. Besprechung von Einwänden. Außerdem ist zu sagen, daß er selbst in diesem Falle zwar nicht das Wesen der Geometrie, wohl aber das Wesen der physikalischen Hypothesen verkannt hat : Seine Idee ist abzulehnen aus eben den Gründen, die er selbst, im vorliegenden Falle mit Recht, in den Vordergrund stellt. Sollte das über die Geodäsie Gesagte noch nicht überzeugend genug sein, so braucht man nur die ersten Schritte der Bechnung zu tun. Wir benutzen dasselbe Beispiel wie Poincar^ und stellen den Ausdruck für das quadrierte Bogenelement im pseudo- sphärischen Baume: ds» = - dxi + d»> + (ixi + dxi {x,'-x,'-xi-xi = B»} ^-^^ zusammen mit den Formeln für dasselbe Bogenelement in den beiden einfachsten Euklidischen Projektionen dieses Eaumes. Wir projizieren auf den ebenen Raum Xq = B, und zwar zuerst aus dem Punkte (0, 0, 0, 0), wodurch eine geodätische Abbildung entsteht. So finden wir: jR . jR x, = , ^•^' (x=l, 2, 3). B* dS» = ((B»- ii» - ii - ii)(di,» -1- dii + diD (B) Wir stellen zweitens eine stereographische Projektion aus dem Punkte ( — i?, 0, 0, 0) her und erhalten dadurch eine warten. Siehe z. B. Katorp (S. 302), A. Müller (S. 216), E. Gassirer (Substanzbegriff und Funktionsbegriff, Berlin 1910, S. 142 ff.), aber auch Jonas Gohn (Voraussetzungen und Ziele des Erkennens, Leipzig 1908, S. 250 — 252). Wie schön wäre es, wenn richtige Gedanken sich auch nur halb so schnell ausbreiten wollten 1 — Cassirer ist trotz seines idealistischen (übrigens wohl mehr eklektischen) Standpunkts ganz nahe am Richtigen gewesen. „Die Rolle" — sagt er treffend — „die man ... der Erfahrung zusprechen mag [ich korrigiere: muß], liegt niemals in der Begründung der einzelnen Systeme [abstrakter Geo- metrie], sondern in der Auswahl, die wir zwischen ihnen zu treffen haben" (S. 140). Eine sorgfältige Untersuchung der Grundsätze für diese Auswahl würde unseren Autor vor seinem Irrtum bewahrt haben. IX. Bespreohung von Einwänden. 119 konformeAbbildung unseres pseudosphärischen Raumes, wieder eine solche von möglichst einfachen Eigenschaften: 4.B» Das quadrierte Bogenelement nimmt jetzt die Form an^): (C) ^« — A üQ ITä ITä ^^* ^^ — ^» » ^* Im Falle (B) erscheinen die Lichtwege im Euklidischen Baume als gerade Linien, aber die in Euklidischem Maße gemessene Licht- geschwindigkeit ist nicht unabhängig vom Orte und nicht einmal von der Richtung des Lichtstrahls. Im Falle (C) ist sie nur vom Orte abhängig, dafür aber sind die Lichtwege Stücke von Kreislinien, die die Kugel ni + vS + vS = 4^B» rechtwinklig schneiden. Beide Abbildungen sind so eingerichtet, daß in der Umgebung der Stelle |i = I2 = Is = oder rji = rj^ = i^j = die Nicht-Euklidische Maßbestimmung die Euklidische approximiert. Das hat Interesse, führt aber zu einer erkenntnis- theoretischen Schwierigkeit. Wo soll diese Stelle im Baume an- genommen werden, im Auge des Beobachters oder im Mittelpunkt ^) Setzt man hier, der gemachten Hypothese II entsprechend, K = — ■^, so entsteht die von Eiemann angegebene Form des quadrierten Bogenelementes : die nun nicht nur für negative Werte von K gilt. (Biemanns Werke, 2. Aufl., S. 282). In der Literatur finden sich, beiläufig bemerkt, unzutreffende historische Angaben über den Ursprung der konformen Abbildung Nicht -Euklidischer Bäume auf den Euklidischen Baum. Foincarö, auoh Wellstein, sollen die Urheber dieses Gedankens sein. Indessen findet sich diese Abbildung (samt der geodätischen) schon beiBeltrami (I868 — 1869, Opere I, art XXV). Dieser aber hat an Biemann an- geknüpft, der, wie die angeführte Formel zeigt, dieselbe Abbildung bereits im Jahre 1854 besaß. 120 I^* Besprechunj^ von Einwänden. der Erde, oder in dem der Sonne, oder wo sonst? Und rtden uns, d. h. uns Mathematikern, die Formeln (B), (C), weil sie nur unabhängige Veränderliche enthalten, darum schon eine deut- lichere Sprache als die Formel (A), die einen so viel einfacheren und durchsichtigeren, suggestiveren Bau hat? Die populären Schriften Poincares sind gewiß lesenswert; wir wollen die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, sie als eine anregende Lektüre Denen zu empfehlen, die sie noch nicht kennen. Aber mit Kritik muß man doch an sie herantreten. Man hätte nicht gar so viel cant darüber in die Welt setzen sollen. Diese TCQogxvvYjöLg vor allen Berühmtheiten, die natürlich auch jedes Nichtmittunwollen als Verbrechen ansieht und als persönliche Beleidigung empfindet, ist eine wahrhaft verdrießliche Erscheinung. Jede Selbstverständlichkeit wie eine Offenbarung anzustaunen halten nicht Wenige für ihre heilige Pflicht, wenn sie aus dem Munde eines berühmten Mannes kommt. Das automatisch geübte Schwingen von Weihrauchfässern steht aber besonders übel einem Zeitalter an, das sich selbst kritisch zu nennen liebt. Daß der genannte geniale Mathematiker gelegentlich auch recht oberflächlich und dazu noch sehr dogmatisch sein konnte, dafür liefert gerade seine Behandlung des Raumproblems mehr als ein Beispiel. Man glaubt den Verfasser der „Welträtsel" vor sich zu haben, wenn man liest: „daß unser Verstand sich durch natürliche Zuchtwahl den Bedingungen der äußeren Welt angepaßt hat, daß er diejenige Geometrie angenommen hat, welche für die Gattung am vorteil- haftesten war, oder mit anderen Worten, die am bequemsten war" ^). Geometrie, Geometrie, Euklidische Geometrie, hervor- gerufen durch den Kampf ums Dasein im Kopfe eines Austral- negers I Oder ergibt sich etwa diese Folgerung nicht? Und eine so anfechtbare Behauptung hingestellt ohne jeden Versuch eines Beweises ! Zu dem Gesagten dürfte noch eine Ergänzung am Platze sein : Es bedarf wohl noch der näheren Begründung, mit welchem Rechte denn wir in unserer Theorie des Raumproblems die Forderung der Einfachheit der Hypothesenbildung ge- stellt und verwertet haben. Denn keineswegs können wir uns, wie schon gesagt, der Ansicht von Mach, Poincare und Anderen 1) Wissenschaft und Hypothese, 2. Aufl., S. 90. Einfachheit der Hypothesenbild ang^. 121 anschließen , die in der Denkökonomie oder Ähnlichem ein oberstes Prinzip der Wissenschaft finden wollen. Eine Hypothese muß vor allen Dingen wahrscheinlich sein. Der entscheidende Punkt ist, daß es sich hier um eine Wahl zwischen Hypothesen handelt, die den gleichen Tatbestand erklären. In Fällen dieser Art, die nicht die Regel bilden, kennen wir kein anderes Mittel, eine Entscheidung herbeizuführen, als eben die Einfachheit oder Zweckmäßigkeit der Tatsachenerklärung. Eine ältere Lichttheorie vermochte nicht zu entscheiden, ob die Schwingungsebene polarisierten Lichtes die Polarisations- ebene war oder senkrecht zu ihr. Die eine Annahme war so ein- fach wie die andere; daher betrachtete man beide als gleich wahrscheinlich und berücksichtigte sie beide — bis eine neue, kühner erdachte und weiter reichende Lichttheorie beiden den Garaus machte, indem sie die ihnen zugrunde liegenden brauch- baren Gedanken in sich aufnahm. Ein anderes Beispiel, in dem das Wesen der Sache besonders klar hervortritt, liefert die kinetische Gastheorie. Gegen diese ist sehr häufig der Einwand erhoben worden, daß sie das Einfache auf ein Verwickeltes zurückzuführen suche. Es will Manchem nicht einleuchten, daß ganz einfache, zahlenmäßig auszudrückende Gesetzmäßigkeiten die Folge sein sollen eines chaotischen Zu- sammenspiels von Milliarden von Molekeln. Ist nun dieser Ein- wurf der mangelnden Einfachheit der Hypothese berechtigt? Vielleicht würde eine solche Frage zu bejahen sein, wenn die atomistische Hypothese eben weiter nichts leistete, als gewisse Eigenschaften der Gase zu erklären. Wenn wir aber diese Hypo- these mit anderen Annahmen vergleichen, durch die man diese Eigenschaften ebenfalls erklären, oder, wenn man will, „be- schreiben" kann*), so fällt der enorme Unterschied in der Trag- weite dieser Hypothesen in die Augen. Unsere Voraussetzung ist nicht erfüllt, daß die konkurrierenden Annahmen sich auf denselben Tatsachenkomplex erstrecken. Die atomistische Hypo- these bezieht sich auf das Ganze der Natur. Daß man aber aus diesem Ganzen künstliche Ausschnitte machen kann, in denen man mit einfacheren Mitteln zum Ziele kommt, ist zu erwarten, und *) Wir sehen hier davon ab, daß eine bloße Beschreibung auch in solchem Falle nicht als genügend erachtet werden kann. Siehe darüber S. 38 und 44. 122 I^- Besprechung Yon Einwänden. kann also nichts Befremdliches hahen^). Genau so verhalt es sich auch mit der Gravitationshypothese in ihrer Anwendung auf die Bewegung der Himmelskörper. Auch sie könnte man mit dem gleichen Argument zu Falle bringen, wenn es berechtigt wäre. Denn für viele Zwecke der Astronomie — also wieder in einem künstlichen Ausschnitt aus dem Naturganzen — ist es hinreichend, die Himmelskörper wie Massenpunkte zu behandeln. Zur Dar- stellung ihrer Bewegung reicht dann das Newton sehe Gesetz für punktförmige Massen aus. Die Hypothese der allgemeinen Gravi- tation aber führt diese Anziehung auf eine Anziehung zurück, die sich auf ausgedehnte Körper bezieht und von Teilchen zu Teilchen wirkt; sie führt also ebenfalls ein Einfaches auf ein Ver- wickeltes zurück. Dafür hat sie die größere Tragweite, und das ist entscheidend. Wir lernen hieraus: Die weiter reichende Hypothese verdient den Vorzug, und nur ceteris parihus, da, wo alle anderen Mittel der Urteilsbildung versagen, tritt die Forderung der Einfachheit in ihr Recht. Dieser Fall liegt nun aber außerordentlich häufig vor. Genau so verhält es sich nämlich überall da, wo in der Physik quantita- tive Beziehungen * hypothetisch eingeführt werden. Es gibt kein physikalisches Gesetz, das nicht in mannigfachster Weise so ab- geändert werden könnte, daß auch noch das neue Gesetz Dasselbe leisten würde wie das alte. Es wird aber Dasselbe in der Regel auf eine viel weniger einfache Weise leisten. Daher zieht es der Physiker, mit vollem Rechte, meist gar nicht erst in Betracht. Daß wir nun, ceteris parümSf die einfachere Hypothese auch als die wahrscheinlichere, der unbekannten Wirklichkeit näher kommende anzusehen geneigt sind, hat seinen Grund in einer Ansicht, die vielleicht als mystisch gelten mag^), aber doch ^) Die Notwendigkeit solcher Ausschnitte erörtert H. Weber bei Poincarö, Wert der Wissenschaft, 8.238 u. ff . Leipzig? 1906. ^) Als der Verfasser das schrieb, dachte er in seinem schwarzen Herzen : Ob nicht irgend ein Positivist das gesagt haben wird ? Und richtig! Bei Mach steht es, wenigstens dem Sinne nach. (Erkenntnis und In'tum, S. 454.) Dagegen finden wir uns hier im Wesentlichen in Übereinstimmung mit Peine ar^, der, freilich für seinen pragmatisti- sehen Standpunkt mit geringer Konsequenz, dem Gegenstand eine ausführliche Erörterung ungefähr im Sinne des Textes gewidmet hat. (Wissenschaft und Hypothese, S. 147 u. fE.) Einfachheit der Hypothesenbildung. 123 in einer ausgedehnten Erfahrung, in der aufgespeicherten Er- fahrung wissenschaftlich arbeitender Generationen, wurzelt und darin ihre induktive Eechtfertigung findet. Im Gegensatz zum primitiven Menschen, dem Animisten, der überall Dämonen sieht, glaubt der im wissenschaftlichen Denken getihte Forscher, daß die Natur mit einfachen Mitteln arbeitet und auch die verwickeltsten Erscheinungen nur durch ein Zusammentreffen vieler an sich ein- facher Wirkungen zustande bringt. Gelingt es uns nicht, im Verwickelten das Einfache zu sehen, so suchen wir bescheiden die Schuld in uns, in der ünvollkommenheit unserer Hilfsmittel, Kenntnisse und Fähigkeiten, niemals aber suchen wir sie in der Natur. Überall suchen wir das Einfache, weil jeder große wissen- schaftliche Fortschritt ein Fortschritt in dieser Richtung war. Wir glauben an die größere Wahrscheinlichkeit des recht ver- standenen Einfachen, weil wir von der Möglichkeit eines stetigen Fortschritts überzeugt sind. Und das Recht dazu schöpfen wir aus der Erfahrung^). So ist es denn also wohl auch berechtigt, bei Behandlung des Raumproblems die Forderung der Einfachheit der Hypothesen- bildung nach Möglichkeit auszunutzen. Nach Möglichkeit und mit genügender Vorsicht, da wir des ümstands eingedenk sein müssen, daß der Klassifizierung „einfach- verwickelt '^ eine viel- leicht allzu subjektive, nicht eindeutige, nicht notwendige Urteüs- büdung zugrunde liegt, und daß neue Tatsachen uns zwingen können, unser Urteil zu ändern. Zu einem „Prinzip" oder Dogma dürfen wir eine solche aus der wissenschaftlichen Praxis ab- strahierte Regel nicht werden lassen. Man wird jetzt erkennen, warum wir in der Theorie des Raumproblems den Prozeß der Hypothesenbildung, abweichend von dem sonst Üblichen, in zwei Schritte zerlegt haben (Ab- schnitte VI, Viii). In beiden Fällen mußten wir die Grenzen der ^) Man hat versucht, die Vorzugsstellung der einfacheren Hypo- thesen durch eine Berufung auf die Wahrscheinlichkeitsrechnung zu motivieren. Wir müssen das für mißlungen halten. Es fehlt hier jeder Anhaltspunkt für zahlenmäßige Abschätzungen. Außerdem ist einzuwenden, daß die Anwendung des formalen Wahrscheinlichkeits- kalkuls auf die wirkliche Welt selbst erst noch der erkenntnis- theoretischen Motivierung bedarf. Es sieht sogar beinahe so aus, als ob die Forderung der Einfachheit durch einen Verstoß gegen eben diese Forderung motiviert werden sollte. 124 IX. Stellung des Posüiyismnf zam Baumproblem. Erfahrung überschreiten. Indem wir aber, beim zweiten Schritt der Hypothesenbildung, die Forderung stellten, daß auch noch ein beliebig ausgedehnter starrer Körper dieselbe Art von Beweglich- keit haben soll, wie einer, den wir etwa im Zimmer realisieren können, haben wir die Grenzen der Erfahrung auf ganz andere Art überschritten, als im ersten Fall. Die Einschränkung in der Hypothesenbildung wurde nun so stark, daß nur noch vier Möglich- keiten übrig blieben, im Gegensatz zu unendlich vielen, die bleiben, wenn man Alles zulassen will, was noch zu den Tatsachen im zu- gänglichen Raumstück paßt. Es mag nun Jemand den Stand- punkt einnehmen, daß er die Motivierung des zweiten Schrittes unserer Hypothesenbildung wesentlich schwächer findet, als die des ersten. Einem solchen Beurteiler haben wir keine Gewalt an- getan: Er mag, wenn es ihm beliebt, uns bis Kapitel VII folgen und dann das Weitere fallen lassen. Ein weiterer Punkt, der noch zur Sprache gebracht werden soll, ist folgender. Wir haben, in unserem IV. Abschnitt, den idealistischen Lösungsversuch des Raumproblems als verfehlt nachgewiesen. Ebenso haben wir jetzt die vom pragmatistischen Standpunkt ver- suchte Lösung Poincar^s als ungenügend erkannt — nicht weil wir im vorliegenden Falle die Forderung, von der Poincare aus- geht, als unberechtigt hinstellen könnten, sondern weil wir finden, daß dieser Mathematiker sich die Konsequenzen seiner Forderung nicht genügend überlegt hat. Wie steht es nun aber, so wird wohl mancher Leser fragen, mit der positivistischen Theorie des Raumproblems? Die Antwort ist, daß es eine solche Theorie nicht gibt und auch nicht geben kann. Denn schon die Existenz einer natür- lichen Geometrie ist ja eine transzendente, oder, in der Sprache dieser Gegner des Realismus, metaphysische Hypothese. Ganz gewiß ist der Raum, in dem wir leben, kein Empfindungskomplex. Daher läßt der Positivist (Mach, Enriques) schon hier sein Prinzip fallen und begibt sich auf den realistischen Standpunkt. Es ist das Beste, was geschehen kann, zeigt aber wieder, schon beim ersten Schritt zum Aufbau der theoretischen Physik, die Unfähig- keit des Positivismus, den Tatsachen gerecht zu werden. X. Die Axiomatik in der Geometrie. Wir kommen jetzt zu einem letzten Gegenstand, dem wir eine ausführlichere Darlegung widmen wollen, als die Theorie des Raumproblems es erfordern würde, da er uns ein selbständiges Interesse zu haben scheint. Wir meinen die Frage nach der Bedeutung der sogenannten Axiome in der Geometrie. Wer uns bis hierher gefolgt ist, dem mag es aufgefallen sein, daß von solchen Axiomen nie die Bede war, während die sonstige Literatur des Raumproblems von Erörterungen über eben diese Axiome voll ist. Da wir das Raumproblem trotzdem behandeln konnten, so ist bereits nachgewiesen, daß zwischen ihm und den üblichen Axiomen ein schlechthin notwendiger Zusammenhang nicht besteht. Wir wollen das aber nun noch genauer begründen. Der moderne Forscher wird immer induktiv zu Werke gehen, von Tatsachen sich leiten lassen wollen. Aber in den sogenannten Tatsachen pflegen bereits Hypothesen zu stecken. Immer liegt dem Worte Tatsache eine ürteilsbildung zugrunde, und diese kann irrig sein, ohne daß eine durch sie veranlaß te Hypothese dadurch entwertet würde. Die Euklidische Hypothese z. B. wird dadurch nicht unbrauchbar gemacht, daß man aufhört, das sogenannte Parallelenaxiom für die Tatsache (sei es der Anschauung oder der Erfahrung) anzusehen, die es für Viele ist. Ein endgültiges Urteil über eine Hypothese kann also nicht auf Grund ihrer mehr oder minder zufälligen Entstehungsgeschichte gefällt werden: Man denke auch an den Anteil, den mystische Vorstellungen an der Entdeckung der drei Gesetze Keplers hatten. So kann es also für den Empiriker, der z. B. die Euklidische Geometrie für seine Zwecke verwenden will, wenigstens keine Frage von vitaler Be- deutung sein, wie diese Geometrie sich historisch entwickelt hat oder wie sie heutzutage begründet werden soll: Verlangen muß er nur erstens eine logisch-einwandsfreie Ableitung dieser Geometrie 126 ^* I^ie Ajdomatik in der Geometrie. (als eines Systems abstrakter Begriffe), zweitens, daß er das fertige System, als Hypothese, überhaupt brauchen kann. Ganz interesselos steht nun aber der Empiriker der Frage^ wie irgend eines unserer Systeme physischer Geometrie begründet werden soll, denn doch nicht gegenüber: Er hat ja mit seinen eigenen Problemen genug zu tun, und so wird er vom Mathematiker verlangen dürfen, nicht mit Subtilitäten behelligt zu werden, die ihm für die Erkenntnis der Natur nichts nützen. Der Empiriker braucht z. B. die Euklidische Geometrie in der Form des Carte- sischen Systems. Der kürzeste Weg dazu aber führt ganz gewiß nicht über irgend welche Axiome, sondern durch die Analysis, die ja ohnehin nicht entbehrt werden kann. Wie schon Helmholtz gelegentlich bemerkt hat, ist es ja eine leichte Sache, aus dem Aus- druck für das Quadrat der Entfernung zweier Punkte in abstriicto das ganze System der Euklidischen Geometrie zu entwickeln, und Entsprechendes gilt, wie wir wissen, von den anderen Systemen physischer Geometrie ^). Zudem würde sich das induktive Ver- fahren mit dem analytischen verbinden lassen, so daß die Be- trachtung des Entfernungsquadrates oder der entsprechenden Aus- drücke in den anderen Fällen ihre natürliche Motivierung fände. Auch wird die Anwendung der „synthetischen" Methode durch die analytische Grundlage nicht ausgeschlossen. Unvergleich- lich viel schwieriger und zeitraubender aber ist, dar- über kann gar kein Zweifel bestehen, die sogenannte axiomatische Begründung derselben Systeme von ab- strakten Begriffen und Lehrsätzen^). So würde also für unseren Freund, den Empiriker und Naturphilosophen, das ganze Problem der axiomatischen Begründung seiner Geometrie zu bloß historischer Bedeutung zusammensinken. Was sollten auch die modernen Früchte am Baume der Axiomatik ihm bieten, welche Bedeutung könnte für ihn z. B. eine Nicht- Archimedische, Nicht- Pascalsche, Nicht -Legendresche Geometrie haben? Die Natur scheint eine andere Sprache zu reden. Einzelne Resultate, die auch einen nicht allzu engherzigen Empiriker vielleicht noch 1) Siehe die Entwickelungen S. 84—95, 105—109. ^) Diese Schwierigkeiten scheinen sogar noch nicht einmal ganz üherwunden zu sein. Doch legen wir darauf kein Gewicht, da sie sicher nicht unüberwindlich sind. Manche Einwände treffen zudem mehr die Darstellungaform als die Sache. X. Die Axlomatlk in der Geometrie. 127 interessieren mögen, könnten ja aus dem Rahmen der Axiomatik herausgenommen werden. Verlassen wir nun aber den Standpunkt des Naturphilosophen und Empirikers I und stellen wir uns auf den Boden der reinen Mathematik, so kann die Frage, wie Geometrie — jetzt nicht nur physische Geometrie — wissenschaftlich begründet und betrieben werden soll, ebenfalls aufgeworfen werden. Man hat sie auf- geworfen und auch beantwortet. So lesen wir bei einem be- geisterten Bewunderer der modernen Axiomatik, daß für viele produktive Mathematiker die Geometrie erst da anfängt, wo sie auf Axiome gebracht ist^). Und das scheint wirklich eine weit verbreitete Meinung zu sein, wenigstens ist unseres Wissens nie eine gegenteilige Ansicht vom Wesen der Geometrie öffentlich vertreten worden, und das allgemeine Interesse an der Axiomatik ist unleugbar. Was ist nun der Sinn dieser Forderung? Ist sie als Norm für den Bertrieb dessen, was „Geometrie" heißen soll, berechtigt? Muß nicht der Mathematiker stets auf die heute sogenannte Ökonomie des Denkens bedacht sein? Wie kommt es also, daß so Viele einen steilen und steinigen Pfad dem Königs weg der Analysis vorziehen? Hat man einen solchen Überfluß an verfüg- baren Kräften? Das sind die Fragen, deren Beantwortung wir noch versuchen wollen. Man kann auf den Gedanken kommen, daß es sich nur um eine etwas dogmatische Umgrenzung des Begriffs Geometrie handelt, so daß durch Änderung eines Wortes die ganze Frage aus der Welt geschafft werden könnte. So steht die Sache in- dessen nicht. Es liegt vielmehr ein wissenschaftliches Ideal vor, das im Betrieb der modernen Mathematik sich auch sonst noch auf die mannigfachste Art durchzusetzen sucht. Unsere mathematischen Zeitschriften legen Zeugnis davon ab. Fast Alles und Jedes scheint nach der Meinung der am Weitesten gehenden Vertreter dieser Richtung umgearbeitet und „auf Axiome gebracht" werden zu sollen, ganz als ob die bisher vorwiegend übliche genetische Darstellungsform nichts taugte. Mit Übertreibungen dieser Art, die eine etwa als Axiomiasis zu bezeichnende wissei;!- 1) Wellstein bei Weber und Wellstein, Elementar mathematik 2, 114, und überhaupt 8.22 u.ff. (Leipzig 1905.) 128 ^- ^i® Axiomatik in der Geometrie. schaftliche Modekrankheit darstellen, haben wir es jedoch nicht zu tun. Man maß sie sich austoben lassen: Gleich allen Moden werden sie von selbst aufhören. Wir wollen vielmehr die sehr beachtenswerten Erscheinungen untersuchen, auf die sich die Schule der sogenannten Axiomatiker als klassische Muster beruft. Und auch in dieser Beschränkung bleibt es interessant, wie ein solches Ideal in unseren Tagen in den Vordergrund des wissen- schaftlichen Interesses rücken konnte. Dieses Ideal ist nämlich das vielleicht überhaupt älteste wissenschaftliche Ideal, jedenfalls aber stammt es aus dem Altertum. Es ist wohl natürlich, daß der etwas gekünstelte, aber geist- volle Aufbau des Euklidischen Systems der Elementargeometrie späteren Forschern zum Vorbild wurde und sie nicht nur zur Verbesserung der darin vorhandenen Mängel angeregt hat, sondern auch zum Ausbau verwandter Gedankensysteme. Auch durfte man die freilich nicht in Erfüllung gegangene Hoffnung nähren, daß dieselbe Kritik, die zur Entdeckung der Nicht-Euklidischen Geometrie geführt hatte, noch zu weiteren Entdeckungen von ähnlicher Bedeutung hinleiten würde. Die grundsätzliche Ablehnung der Analysis als einer Basis der Geometrie ist aber damit nicht gegeben und fordert eine andere Erklärung. Soviel wir sehen, hat diese Urteilsbildung nun einen doppelten Grund. Zunächst einen historischen. Es war nämlich, wie es scheint, der Weg zur Geometrie, der durch die Analysis führt, sogar zu Gauß^ Zeiten noch nicht recht gangbar. Allerdings fällt es uns heute schon schwer, uns in die Anschauungen selbst einer so wenig zurückliegenden Periode hineinzudenken. Aber mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit darf doch gesagt werden, daß sogar die zuvor skizzierte Begründung der abstrakten Euklidi- schen Geometrie Zeitgenossen von Gauß und wohl auch Gauß selbst als nicht einwandsfrei erschienen sein würde. Noch einer viel späteren Periode schien ja alle Analysis stetig-veränderlicher Größen geometrischen Ursprunges zu sein, in eben der (Euklidi- schen) Geometrie ihre Quelle zu haben, um deren Begründung es sich handelt 1). Erst der modernen Theorie der Irrationalzahlen, ^) Siehe Dedeklnd, Stetigkeit und irrationale Zahlen (Braunschweig 1872), Vorwort. Dort wird 1858 als das Jahr angegeben, in dem die arithmetische Definition der Stetigkeit ihrem Urheber gelang. X. Die Axiomatik in der Geometrie. 129 den Forschungen von Dedekind, Weierstraß und G. Cantor (um 1870) verdanken wir die Einsicht in die wahre Leistungs- fähigkeit der Analysis, nämlich in ihre Unabhängigkeit von aller Geometrie. So wäre also unsere Begründungsart für Gauß und noch für viele Spätere ein Zirkelschluß gewesen. Tatsächlich haben noch im Jahre 1889 B. Ball und Cayley gegen die Kleinsche Begründung der Nicht-Euklidischen Geometrie einen Einwand er^ hoben, der bei genügender Einsicht in die Tragweite der Analysis als illusorisch hätte erkannt werden müssen^). Daß aber die besprochene Umwälzung nicht überall sofort in ihrer ganzen Be- deutung erkannt wurde, daß die einmal gebildeten Urteile eine gewisse Lebenszähigkeit bewiesen, kann nicht wundernehmen. Wir lesen sogar noch bei Poincare: „Niemand zweifelt daran, daß die gewöhnliche Geometrie von Widersprüchen frei ist. Woher kommt uns diese Gewißheit und ist sie gerechtfertigt? Darin liegt eine Frage, welche ich hier nicht zu behandeln weiß, welche aber sehr interessant ist und die ich nicht für unlösbar halte ^ ^) ! Der Solches schrieb, hatte offenbar die angeführten Tatsachen nicht gegenwärtig. Unsere These dürfte hiermit bewiesen sein. Ist es dann aber sicher, daß Gauß, auch wenn er Dedekinds arithmetische Definition der Stetigkeit und die darauf ruhende rein-analytische Begründung der Euklidischen und Nicht-Euklidi- schen Geometrie gekannt hätte, an seiner eigenen schwierigen Begründung als der allein annehmbaren festgehalten haben würde? Indessen historisch -psychologische Gründe, die suggestive Macht einer Tradition, die sich auf eine Reihe glänzender Namen berufen darf, erklären allein die besprochene Erscheinung wohl noch nicht. Es kommt als sachlicher und Hauptgrund die Forde- rung hinzu, die Grundlagen der (physischen) Geometrie aus so- genannten Tatsachen der Anschauung abzuleiten. Der Fehler der von uns kritisierten Philosophen, die ebenfalls von der An- schauung aus zu einer eindeutig bestimmten Geometrie gelangen wollen, wurde von den Mathematikern vermieden, aber die Forde- rung der „Anschaulichkeit" blieb als Kriterium eigentlich-geo- metrischer Untersuchungen bestehen. Unter Anschaulichkeit scheint man freilich dabei nicht immer Dasselbe zu verstehen. 1) Siehe Math. Ann. 87, 545, 1800. 2) Wissenschaft und Hypothese 1906, S. 44 (Übersetzung nach der siebenten Auflage des französischen Originals). Study, Bealistische Weltansicht. ^ 130 ^* ^i® Axiomatik in der Geometrie. Einige nehmen das Wort im Sinne der Kantischen Anschauung a priori^ für Andere bedeutet es nur noch die Anlehnung der abstrakten Begriffe an Figuren, die gezeichnet, oder an Modelle, die körperlich hergestellt werden können. Aber beim Fortschreiten zu verwickeiteren Beziehungen ver- läßt uns die „Raumanschauung** bald genug, und die Yersinn- lichung abstrakter Sätze durch Zeichnungen und Modelle findet noch früher ihre Grenzen. Im ganzen System der Geometrie durch- führbar war jene Forderung also nicht, und so stellte man sie wenigstens, im Falle der Systeme physischer Geometrie, für die Grundlagen. Diese Gbrundlagen wurden für die weitere deduktive Entwickelung eben die Axiome, oder, wie sie auch heißen, Postu- late. Der Inhalt dieser Axiome galt (und gilt) als an- schaulich: Die Ablehnung der Analysis, die ganz gewiß nicht anschaulich ist, als eines Ausgangspunktes, ergab sich als un- vermeidliche Folgerung. So heißt es bei Hilbert (Grundlagen der Geometrie, 2. Aufl., Leipzig 1903): „Die Geometrie bedarf — ebenso wie die Arith- metik — zu ihrem folgerichtigen Aufbau nur weniger und ein- facher Grundsätze. Diese Grundsätze heißen Axiome der Geometrie. Die Aufstellung der Axiome der Geometrie und die Erforschung ihres Zusammenhanges . . . läuft auf die logische Analyse unserer räumlichen Anschauung hinaus." Und bei F. Schur (Grundlagen der Geometrie, Leipzig 1909) wird als Forderung einer wissenschaftlichen Darstellung „der Grund- lagen der Geometrie '^ hingestellt: „Ein einfaches und vollständiges System voneinander möglichst unabhängiger Tatsachen der An- schauung oder (?) Axiome aufzustellen, aus denen die Geometrie auf rein logischem Wege hergeleitet werden kann." „Damit unsere Arbeit überhaupt den Namen Geometrie verdiene, scheint es uns notwendig, daß diese Axiome oder Postulate das Resultat der einfachsten und elementarsten Beobachtungen der natürlichen Figuren ausdrücken, aus deren Abstraktion sie ent- standen sind. Es dürfte also z. B. nicht erlaubt sein, ein Axiom an die Spitze zu stellen, das aussagt, der Kaum sei eine Zahlen mannigfaltigkeit, in der jeder Punkt durch drei Koordinaten bestimmt ist^)." ^) Die hervorgehobenen Worte sind es in den Originalen nicht. X. Die Axiomatik in der Geometrie. 131 Was sollen wir zu alledem sagen? Gäbe es wirklich so etwas wie eine „logische" Analyse der Baumanschauung, dann in der Tat würden auch wir, gleich Anderen, dem Thema der ge- nannten Schriften die Vorzugsstellung zugestehen müssen, die es im Vergleich zu anderen geometrischen Problemen mindestens dem Scheine nach beansprucht. Aber in Wirklichkeit hat Hilbert keine Baumanschauung, sondern ein fertig vorgefundenes System abstrakter Lehrsätze analysiert. Und auch die Forderung unseres zweiten Autors, daß wenigstens der Ausgangspunkt geometrischer Untersuchungen im „Anschaulichen" liegen soll, scheint uns einen stark dogmatischen Beigeschmack zu haben. Es ist wahr, eine aus der Analysis geschöpfte „Geometrie" ist nicht Geometrie im Sinne des Altertums, auch nicht im Sinne von Gauß, Lobatschewski], Bolyai,Poncelet, Steiner, v.Staudt. Aber auch die moderne Differentialgeometrie, die sich ebenfalls auf Gauß berufen darf, die höhere algebraische Geometrie genügen dieser Forderung nicht. So entsprach auch die Mechanik eines Lagrange nicht dem Geiste der Newtonschen Mechanik. So entspricht jeder methodische Fortschritt nicht dem Geiste einer älteren Periode. Und warum der analytischen Be- gründung irgend eines Zweiges abstrakter Geometrie Wissenschaft- lichkeit abgesprochen werden soll, ist vollends nicht einzusehen i). Ausschlaggebend für die Beurteilung der Sachlage scheint uns der Umstand zu sein, daß eine von der Analysis wirklich unabhängige Geometrie, wie das antike Ideal sie eigentlich verlangen würde, sich als eine Utopie herausgestellt hat. Die sogenannten Axiome oder Postulate sind ja offenbar nichts anderes als Hypothesen ^) ; Hypothesen wie andere, man sieht nicht, warum ^) Dagegen kann in gewissem Sinne von Unwissenschaftlichkeit der herkömmlichen analytischen Geometrie geredet werden. Denn bei deren Darstellung setzt man immer Schulkenntnisse voraus, die auf eine nicht einwandsfreie Weise erworben zu werden pflegen. Wie das in Büchern für Anfänger vermieden werden soll, weiß der Verfasser nicht zu sagen, aber „wissenschaftlich ist es gerade nicht. Übrigens lassen sich auch noch allerlei andere Einwände gegen die üblichen Lehrbücher erheben. Siehe z. B. Archiv f. Mathematik u. Physik 21, 218—220, 1913. 3) Ebenso hat B. Biemann die Axiome der Mechanik beurteilt: Ges. Werke, 2. Aufl., S. 525. „Die Unterscheidung, welche Newton zwischen Bewegungsgesetzen oder Axiomen und Hypothesen macht, scheint mir nicht haltbar. Das 9* 132 ^* I^i® Axiomatik in der Geometrie. sie nicht so genannt werden. „Eb gibt — so wird angenommen — Dinge, die diese oder jene Eigenschaften haben.'' Gibt es solche Dinge ? Die Anschauung kann es nicht lehren, und die Erfahrung ebensowenig. Dies haben unsere Autoren sehr wohl erkannt; sie entwickeln daher aus ihren zunächst versuchsweise hingestellten Annahmen die Folgerungen so weit, bis sich zeigt, daß das kon- struierte geometrische Gebäude mit einer aus der Analysis schon bekannten begrifflichen Struktur zusammenfällt. Die Forderungen des Logikers sind dann befriedigt; es ist bewiesen, was bewiesen werden kann ^). Aber hat man sich dann nicht eine zum Mindesten Trägheitsgesetz ist die Hypothese: Wenn ein materieller Punkt allein in der Welt vorbanden wäre und sich im Baum [dem absoluten Baume Newtons] mit einer bestimmten Geschwindigkeit bewegte, so würde er diese Geschwindigkeit beständig behalten." Gleich diesen „Axiomen" der Mechanik sind Hypothesen, nur solche von größerer Tragweite, auch die „Prinzipe* der Mechanik (Prinzip des kleinsten Zwanges, Hamiltonsches Prinzip und andere). Man hat auch gesagt, die Axiome seien Definitionen. Der Unter- schied ist aber der, daß bei den sonst so genannten Definitionen der Mathematik die Existenz des Definierten nicht zweifelhaft ist oder sogleich nachgewiesen wird. Von der Axiomatik jedoch gilt unbehag- licherweise wirklich eine Strecke weit das, was einer ihrer Vertreter, Bussen, paradox und unzutreffend, von der Mathematik im Ganzen behauptet hat: Sie ist die Wissenschaft, bei der man nicht weiß, wovon man redet, noch ob was man sagt, nchtig ist. ^) Versuche, auch noch die Widerspruchsfreiheit der Analysis zu erweisen, können wohl nicht gelingen. Die Analysis ist ein Zweig der reinen Logik; man kann aber nicht mit Hilfe der Logik die Wider- spruchsfreiheit eben dieser Logik begründen wollen. Gibt man aber die Widerspruchsfreiheit der Logik zu, so steckt darin, soviel wir sehen, auch schon die Widerspruchsfreiheit der Analysis. Die Widerspruchsfreiheit der Logik benutzt man auch bei axio- matischem Aufbau jeder Art von Geometrie. Daher kann man nicht wohl auf den ohnehin unnatürlichen Gedanken kommen, etwa die Analysis aus einer vorher axiomatisch begründeten „Geometrie" (einer ganz speziell angelegten Art von Geometrie im dreidimensionalen Punktkontinuum !) ableiten zu wollen. Die Widerspruchsfreiheit der Analysis wird man also ohne Beweis zugeben müssen. Dann aber würde man eine unnötige Hypo- these machen, wenn man auch noch die Widerspruchsfreiheit axio- matlsch hingestellter geometrischer Systeme, wie z. B. der Euklidischen Geometrie, ohne Beweis annehmen wollte, da dieser Beweis nun geführt werden kann. (Altere rein -geometrische Werke machen diese über- flüssige Hypothese wohl immer, ohne sie als solche zu erwähnen.) X. Die Axiomatik in der Geometrie. 133 entbehrliche Mühe gemacht ? Nach Ausführung logischer Kletter- künste ersten Ranges ist man glücklich da angelangt, wo man schon war : Einige am Wege gepflückte Blumen sind das positive Ergebnis der Übung. Ein merkwürdiges Ideal: Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt, wird d^ Mathematiker sich doch sonst nicht in den Siegelring gravieren lassen. Sie ist nicht Symbol des Fortschritts. Man will eine möglichst einfache Grund- lage der Geometrie, will aber nicht die Analysis, die man doch nicht entbehren kann, und die für sich allein schon hin- reicht. Möglichst wenige spezifisch - geometrische „Axiome" will man, aber mit dem Minimum Null ist man nicht zufrieden. Man nimmt die Statue der Geometrie von dem breiten und sicheren Postament weg, auf dem sie heute wohl Buhe finden dürfte, um sie auf ein möglichst schmales zu setzen, man will sie wieder dorthin stellen, wo sie früher einmal gestanden hatte. Aber der alte Sockel ist morsch geworden und hat zu seiner Stütze selbst noch den neuen nötig, eben den, der beseitigt werden sollte. Und so erreicht man nicht eine Verringerung, sondern eine Vermehrung der Voraussetzungen, die bei Aufbau dieser oder jener Art von abstrakter Geometrie gemacht werden (siehe S. 85). Gibt es wirklich keine dringenderen Aufgaben? Sollte es nicht zum Beispiel nützlicher sein, sich das Götterbild selbst einmal etwas genauer anzusehen und dann einige der zahllosen und zum Teil schweren Schäden ^) auszubessern, die eine fortgesetzte barbarische Behandlung dem Kunstwerk zugefügt hat? Um dieses Kunst- werkes willen ist doch wohl das Postament da? Wir wünschen, hier sehr deutlich zu sein und jedes Miß- verständnis auszuschließen. Wir haben alle Anerkennung für den in diesen Untersuchungen aufgebotenen Scharfsinn. Aber in der Mathematik wie in der Geographie ist die Überwindung von Schwierigkeiten an sich nur Sport. Zu einer wissenschaftlichen Huberts Parallelisierung von Geometrie und Arithmetik können wir hiernach nicht für glücklich halten. Die Arithmetik und alle Analysis kann der Geometrie völlig entraten, während das Umgekehrte nicht zutrifft. ^) Das ist nicht etwa eine Übertreibung. Der Verfasser hat sich darüber in einer Beihe von Kritiken ausgelassen, die keinen oder nur sehr schwachen Widerspruch gefunden haben. Man spricht nicht gern davon, aber Jeder, der es wissen will, weiß heute, daß es wirklich so ist. 134 ^- Di® Aziomatik in der Geometrie. Leistung wird sie erst durch eine genügende Motivierung der Probleme. An diesem Punkte, der überhaupt in der Mathematik Schwierigkeiten bietet, setzt unsere Kritik ein, die sich ausschließ- lich gegen die zurzeit übliche Überschätzung dieser Art von Untersuchungen und gegen den Anspruch richtet, daß die Be- schäftigung mit solchen Dingen zu den unerläßlichen Aufgaben des Geometers gehört. Wenn Jemand sein Interesse auf eine bestimmte Seite der Geometrie konzentriert, so ist das sein gutes Recht ^). Er wird auch dann noch im Rechte sein, wenn er sich gar nicht für Geometrie interessieren will, wiewohl die gegenwärtig bemerkbare stete Zunahme der aysca^izQfitoi unter den Jiiathe- matikern Den bedenklich stimmen muß, dem eine vielseitige Aus- bildung der heranwachsenden Generation und ein gesunder Zustand des Ganzen der Mathematik am Herzen liegt. Wo man aber einer Wissenschaft Grenzen und Richtlinien anweisen will, da dürfen und müssen die Gründe dafür geprüft werden. Es ist ein vielleicht etwas grausames, aber erlaubtes Experi- ment, eine Wurzel eines Baumes in eine Flasche mit irgend welchen Chemikalien zu setzen und die Veränderungen zu studieren, die dadurch hervorgebracht werden. Aber daß ein dringendes Bedürfnis zu dieser Art von experimenteller Pathologie bestände, müssen wir in Abrede stellen. Jedenfalls gibt es viel dankbarere Aufgaben, denen ein jüngeres Geschlecht sich widmen kann, als das nachgerade langweilig werdende Hin- und Herschieben und Fallenlassen von Axiomen. Zu bemerken ist auch, daß die von den Axiomatikern betonte Wiederkehr der gleichen logischen Ver- kettungen in verschiedenen Gebieten schon längst Gemeingut der Geometer war und in einer ausgedehnten Reihe von Beispielen verwertet worden ist, denen die Axiomatiker selbst irgend Etwas von ähnlicher Tragweite bis jetzt nicht haben hinzufügen können. Es genüge, an den Zusammenhang der Liniengeometrie Plückers mit der projektiven Geometrie im Räume von fünf Dimensionen und mit der Eugelgeometrie im gewöhnlichen Euklidischen oder Nicht-Euklidischen Räume zu erinnern. Die gegenwärtig vorherrschende Wertschätzung der be- sprochenen Art von Aufgaben hat ihre Wurzel, bewußter- oder unbewußtermaßen, aber offenkundig, in der Philosophie Kants, ^) Ähnlich äußert sich auch Poinear^ mit Bezug auf die Axio- matik, Ball, des Sc. Math., 2^ s^rie, 26, 272, 1912. X. Die Axiomatik in der Geometrie. 135 der denn auch Hubert das Motto zu seinem berühmten Buche entlehnt hat ^); in einer Philosophie, die selbst von dem antiken Ideal stark beeinflußt war. Man kann es ja verstehen, daß gerade diese Philosophie manchem Mathematiker besonders sympathisch sein muß; wollte doch Kant in allen Wissenschaften nur so viel wahre Wissenschaft finden, als Mathematik darinnen war. Aber das ist kein Grund, seine Philosophie anzunehmen. Das wissen- schaftliche Ideal Kants entspringt einer rein-spekulativen Geistes- richtung und ist für die Naturwissenschaften unbrauchbar. Worauf es auch hier ankommt, ist, ob die sogenannten Tat- sachen der Anschauung eine hinreichend deutliche Sprache reden, und vor Allem, ob die Anschauung und nicht vielmehr die Erfahrung Wirklichkeitswert hat — den Wert für die Er- kenntnis der äußeren Welt, den Kant ihr zuschrieb und den offen- bar auch unsere Autoren für sie in Anspruch nehmen. Hierauf kommt es an: Denn wenn man sich auf die Erfahrung, nicht auf psychologische Momente, nicht auf eine wie immer näher zu bestimmende „Anschauung" beruft, so fällt jeder Grund zur Ablehnung der Analysis als eines Ausgangspunktes bei „geometrischen" Untersuchungen hinweg. Daß aber die Anschauung den ihr zugeschriebenen Wirklichkeitswert gar nicht hat, glauben wir nachgewiesen zu haben (Abschnitt IV). Es fällt damit auch jeder Anlaß weg, den Begriff der Geometrie, unter Ausschluß großer und inhalts- reicher Disziplinen, die sonst doch immer zur Geometrie gerechnet werden, so eng zu umgrenzen, wie unsere Autoren es wollen. Wir ziehen nun die Folgerung, daß die in Rede stehenden Probleme der Axiomatiker auf gleiche Stufe mit anderen mathematischen Problemen zu stellen sind, und mitnichten eine Art von geometri- scher Aristokratie bilden, wie sie, nach der Meinung Einiger, es zu tun scheinen. Es sind Probleme, wie andere, die zentralen Probleme der Geometrie können wir in ihnen nicht finden. Die besprochenen Untersuchungen werden, nach Ansicht des Verfassers, auf ihren wahren Wert zurückgeführt, wenn sie auf- gefaßt werden als Beantwortungen der Frage, wie gewisse — be- sonders interessante — Gruppen von Transformationen durch be- stimmte, und zwar möglichst wenige aus ihrer Theorie entnommene ^) „So fängt denn alle menschliche Erkenntnis mit Anschauungen an, geht von da zu Begriffen und endigt mit Ideen.** 136 X. Die Aziomatik in der Geometrie. Lehrsätze gekennzeichnet, also von anderen Transformations- gruppen unterschieden werden können. Ohne Zweifel wird man diese Urteils bildung als „subjektiv^ brandmarken. Es ist aber nicht undenkbar, daß entgegenstehende Werturteile ebenfalls und in noch höherem Maße subjektiv sind. Jedenfalls hat man sie bis jetzt auf eine ganz ungenügende Art begründet , und das wird geändert werden müssen, wenn man sie aufrecht erhalten will. Viel vorsichtiger als die genannten Forscher hat M. Pasch, der eigentliche Urheber der modernen Axiomatik und Wieder- beleber des antiken Ideals, im Falle der projektiven Geometrie dieselbe Art der Problemstellung motiviert ^). Statt auf eine sub- jektive Eaumanschauung, beruft er sich auf die Erfahrung, die Alle in gleicher Weise haben können. Entsprechend findet sich bei ihm noch nicht die Ablehnung der Analysis als einer Grund- lage „geometrischer" Untersuchungen, die er ja von seinem Stand- punkt aus gar nicht hätte motivieren können. Wir vermögen jedoch auch mit ihm nicht ganz einverstanden zu sein. Pasch hat nämlich seine Geometrie (die projektive Geometrie im gewöhn- lichen Räume) als eine Erfahrungswissenschaft auffassen wollen. Er nimmt wirklich den Standpunkt ein, gegen den, wie wir ge- sehen haben, Poincar6 polemisiert. Pasch meinte, man könne „aus den unmittelbar beobachteten Gesetzen einfacher Erscheinungen ohne jede Zutat und auf rein deduktivem Wege" die Gesetze komplizierterer Erscheinungen gewinnen. Aber jene Gesetze können wir gar nicht beobachten. Formulieren wir „Gesetze", so tragen wir immer etwas in die Erscheinungen hinein, wir fügen etwas hinzu oder nehmen etwas hinweg. Paschs Irrtum — dafür müssen wir ihn halten — ist nicht ohne Folgen geblieben, doch hat er glücklicherweise keinen großen Schaden angerichtet^). 1) Vorlesungen über Neuere Geometrie, Leipzig 1882. Vorwort und Einleitung. ^) Siehe S. 18 der zitierten Vorlesungen, wo gesagt wird, daß gewisse Sätze nicht beliebig oft angewendet werden dürfen, ohne daß eine scharfe Grenze existierte. Es kommt da zutage, daß die Grundsätze Paschs keinen deutlichen Inhalt haben, gar nicht mathematische Sätze sind. Stellt man aber dieselben Sätze als Hypothesen hin, und streicht man die auf ihre üngenauigkeit bezüglichen Ausführungen, so fällt dieser Einwand hinweg. Derselbe Vorwurf der Unklarheit richtet sich gegen die „natür- liche Geometrie" Wellsteins (siehe das Zitat, S. 127) und natürlich X. Die Axiomatik in der Geometrie. 137 Alle diese Autoren, Pasch, Hubert und Schur, stimmen darin überein, daß sie von Postulaten oder Hypothesen ausgehen, die sich an elementare Erfahrungen anschließen, wobei aber nicht, wie in unserer Darlegung, die Eigenschaften starrer Körper im Vordergrund stehen, sondern Tatsachen, die man der Optik ent- lehnen kann. (Gerade als idealisierter Licht weg.) Aber auch bei diesem Ausgangspunkt kann die Anwendbarkeit der entwickelten Systeme abstrakter Geometrie auf den empirischen Baum in ge- nügendem Umfang erst durch die Erfahrungen der Astronomie gesichert werden. Unsere Autoren haben das gewiß nicht be- stritten, sie haben es aber auch nicht gesagt, sie haben dieser Frage überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt. Das mußten sie jedoch tun, sobald sie ihre Untersuchungen nicht (wie es sehr wohl möglich gewesen wäre) als solche der reinen Mathematik hinstellten, sondern eine erkenntnistheoretische Be- deutung für sie in Anspruch nahmen. Haben solche Forschungen einen besonderen, anderen mathematischen Untersuchungen nicht zukommenden Wert wegen ihrer Beziehungen zur Außenwelt, so hängt dieser Mehrwert ganz von dem Umfang ab, in dem ihre B.esultate zu den Erscheinungen passen. Man darf dann nicht über diese Kardinalfrage hinweggleiten. Schließlich wünschen wir noch, einem immerhin im Bereich der Möglichkeit liegenden Mißverständnis vorzubeugen. Wenn wir sagen, daß das, was gemeinhin Vor stellungs vermögen oder Anschauung heißt, nur zum kleinsten Teile wirkliche Eaum- anschauung ist (S. 65) und für den Aufbau geometrischer Systeme nicht die vielfach beanspruchte Bedeutung haben kann, so ver- kennen wir damit weder ihren hohen pädagogischen Wert, noch auch gegen die „Funktionsstreifen" und überhaupt gegen die gesamte „Approzimationsmathematik'' des Herrn F. Klein. Daß man sich in Anwendungen der Mathematik auf die Natur oft mit einem „ungefähr" begnügen mniS, ist Tatsache. Man hat es aber immer ver- standen, sich damit abzufinden, ohne solche Unklarheiten in die Mathe- matik selbst hineinzutragen, deren historische Entwickelung sich in der gerade entgegengesetzten Eichtung bewegt, nämlich Unklarheiten zu beseitigen strebt. Wenn statt der sonst üblichen sorgfältigen Schät- zungen ein uferloses Ungefähr seinen Einzug in die Mathematik halten darf, so wird deren Wesen zerstört. Bückläufige Tendenzen sollten um so schärfer bekämpft werden, je größer das Ansehen Derer ist, die sie vertreten. Aber natürlich geschieht das Gegenteil. 138 X. Die Aziomatik in der Geometrie. ihren Wert für die Forschung. Wir leugnen nicht die Bedeutung jener dunkeln, im Unterbewußtsein oder sogar im Unbewußten verlaufenden Geistestätigkeit, der Intuition, für die Produktivität des Geometers ^). Es will uns sogar scheinen, als ob diese bei Mathematikern merkwürdigerweise nicht eben häufig anzutreffende Qualität des Geometers spezifische Begabung ausmachte, und als ob sie vielmehr von anderer Seite nicht immer richtig und nament- lich nicht ihrer Seltenheit entsprechend eingeschätzt würde. Aber diese geometrische Intuition ist ganz und gar nicht auf Zahlen- kontinua von drei Dimensionen eingeschränkt. Man spricht seit Gauß vielfach von einer „Geometrie^ im „Eaume^ von mehr als drei Dimensionen und meint mit diesem Eaum ein Zahlenkontinuum, für das uns eine Anschauung im üblichen Sinne des Wortes un- zweifelhaft fehlt ^). Dennoch kann mit dieser n-dimensionalen Geometrie der darin Geübte ebenso umgehen wie mit der gewöhn- lichen ; was gelegentlich schon zu der Täuschung geführt hat, man könne sich sogar diese Bäume „vorstellen". Will man also »An- schaulichkeit" im üblichen Sinne als Bedingung eigentlich-geo- metrischer Untersuchungen festhalten, so bringt man damit etwas dem Geiste der Mathematik völlig Fremdes in sie hinein, und man wird gezwungen. Gleichartiges, eng Zusammengehöriges aus- einanderzureißen. Man kommt, wenn man konsequent sein will, z. B. zu der Folgerung — die wirklich auch schon gezogen worden ist — , daß die projektive Liniengeometrie im gewöhnlichen Baume nichts zu tun hat mit der Geometrie auf einer quadratischen Mannigfaltigkeit im Baume von fünf Dimensionen — die ja „nicht den Namen Geometrie verdient". Man geht dem Nächstliegenden aus dem Wege, weil es zu der für sachgemäß gehaltenen engen Umgrenzung des Begriffs der Geometrie nicht passen will, und man stellt unnötig verwickelte Überlegungen an, weil man irrtüm- lich glaubt, daß sie oder doch ihre Grundlagen anschaulich seien. ^) Siehe die schöne Obarakterisiening des Gegensatzes von logischer und intuitiver Begabung bei Poincar6, Wert der Wissenschaft, Leipzig 1906, S-8— 11, und H. Weber, ebenda, S. 213. Ferner Gauß, Werke IV, 8. 366 : »Daß diese logischen Hilfs- mittel für sich nichts zu leisten vermögen, und nur taube Blüten treiben, wenn nicht die befruchtende lebendige An- schauung des Gegenstandes überall waltet, kann wohl niemand verkennen, der mit dem Wesen der Geometrie ver- traut ist." — 2) Vgl. 8.87. X. Die Aziomatik in der Greometrie. 139 So kommen wir schließlich von anderer Seite her wieder zur selben These: Daß „Anschaulichkeit*^ nicht einmal im Sinne einer Anlehnung an vorstellbare Figuren oder Körper als Kriterium „geometrischer" Untersuchungen auch nur für deren Grundlagen gefordert werden darf. Bei Erörterungen über mathematische Methoden ist zuweilen auch von einer „Forderung der Beinheit" solcher Methoden die Rede; auch sie pflegt benutzt zu werden, um gewissen Betrach- tungen eine Vorzugsstellung zuzuerkennen, und so eine andere Art von „mathematischer Aristokratie" zu schaffen. Es mag er- laubt sein, anhangsweise auch das noch zu besprechen. Im Ganzen neigen wir zu der Meinung, daß das Ideal der Methodenreinheit weit mehr Schaden angerichtet als Nutzen ge- stiftet hat. Es scheint von Einseitigkeit seiner Lobredner un- zertrennlich zu sein. Einseitigkeit ist ein schwer zu vermeidendes Übel für jeden Einzelnen, aber eben deshalb sollte man einer dahin neigenden Trägheit nicht noch mit seichten theoretischen Argumenten zu Hilfe kommen. Es sollte doch einleuchten, daß der produktive Mathematiker gar nicht genug verschiedene Methoden zur Hand haben kann. Wie viele Fehler wären nicht z. B. in der Geometrie vermieden worden, wenn die auf Eeinheit ihrer Methode besonders erpichten Geometer sich ernsthaft bemüht hätten, ihre vermeintlichen Besultate mit Hilfe der Analysis zu kontrollieren. Aber auch der fruchtbarsten Forschungsmittel be- raubt man sich, wenn man die Mathematik in Teildisziplinen zu zersplittern sucht, die vermeintlich nichts miteinander zu tun haben. Die beim ersten Eindringen zuweilen sehr überraschenden Zusammenhänge zwischen anscheinend heterogenen Stoffen sind zahlreich und bilden an sich einen Gegenstand von höchstem Interesse, auch geht eine starke suggestive Wirkung gerade von ihnen aus. Es brauchen dabei gar nicht immer sonderliche Schwierigkeiten vorzuliegen. Namentlich Verfasser elementarer Lehrbücher sollten diesem Punkte mehr Aufmerksamkeit schenken, wozu allerdings eine gerade bei solchen Autoren oft zu vermissende Sachkenntnis gehört. Was gewöhnlich unter der Flagge der Pädagogik einherzieht, ist doch nur Scheuklappenmathematik, mit der man nicht anregende Lehrer und womöglich Forscher, sondern 140 ^« I^i® Axiomatik in der Geometrie. nur Prüfungskandidaten und bestenfalls wissenschaftliche Routi- niers heranbildet. Angebliche Forderungen der Pädagogik dienen hier, wie so oft, zum Deckmantel der Unwissenheit. Die Methoden sollen einander ergänzen, dann aber müssen dem Lernenden doch mindestens nachdrückliche Hinweise auf die Vielseitigkeit der be- handelten Stoffe gegeben werden, während beinahe ein Jeder Alles ignoriert, was sich nicht der allein seligmachenden Methode be- dient. Sieht man sich vor die Notwendigkeit einer Auswahl gestellt, so verdient nicht die „reinste" Methode den Vorzug, sondern die fruchtbarste, die den größten Gedankenkreis umspannt, und das wird öfter auch die einfachste, also die aus pädagogischen Gründen vorzuziehende sein. Auf die Resultate kommt es vor Allem an, und in zweiter Linie erst steht die Methode für Den, der nicht nur mathematische Philosophie oder philosophische Mathematik treiben, sondern sich schöpferisch betätigen will. Dem gegenüber ist geltend zu machen, daß nach genügend vielseitiger Ausbildung des Mathematikers, die unseres Erachtens unter keinem Vorwand vernachlässigt werden darf, doch auch eine Bemühung um Methodenreinheit ihre sehr guten Seiten hat. Vor Allem ist sie wie nichts Anderes geeignet, den mathematischen Schönheitssinn zu entwickeln, dessen Vorhandensein überall an- genehm empfunden wird, und dessen Fehlen die Wirkung so mancher vielleicht wertvollen Bemühung völlig zu vereiteln ver- mag. Sodann zwingt diese Forderung zur Vertiefung, es ergeben sich aus ihr neue allgemeine wie spezielle Probleme, deren Lösungen die Sache fördern müssen, wenn sie nicht gar zu abstrus aus- fallen« In diesem Sinne scheinen uns auch einige der zuvor be- sprochenen Untersuchungen die Geometrie gefördert zu haben. Hier nehme ich Abschied vom Leser, der mir geduldig gefolgt ist, und dem ich zum Danke dafür seine vielen Achs und Oha und die Frage- und Ausrufungszeichen, mit denen er den Band des kleinen Buches geschmückt haben wird, durchaus nicht zu ver- übeln gedenke. Ich werde zufrieden sein, wenn es mir gelungen ist, den Einen oder Anderen zum Nachdenken über Dinge zu ver- anlassen, die gewöhnlich als selbstverständlich hingestellt und auf bloße Versicherungen dieser oder jener Autorität hin blindlings geglaubt werden. Autorenregister. Zitate, die Ton Literatomachweisen begleitet werden, aind durch den Druck hervorgehoben. Ball, R., Sir 129. Becher, E. 28. Beltrami, E. 92, 109, 119 (vgL Enriques 92). Berkeley 25, 32—34. Boltzmann, L. 5, 23. Bolyai, Job. 99, 101, 131. Bolyai, W. 101. Brouwer, L. E. J. 92. ßucherer, A.H. VIII. Cantor, G. 129. Gassirer, E. 118. Cayley, A. 129 (vgl. Enriques 92). Glarke, S. 32. Cohen, Herrn. 29, 34, 36, 55, 56, 70, 71. Gohn, Jonas 118. Comte, A. 28, 39. Darwin, Ch. VII, 76. Dedekind, R. 128. Dewey, J. 45, 46, 49. Dürr, E. 28, 28, 36, 46, 50. £bbinghau8, H. 78. Engel, F. 96,, 99, 101. Enriques, F. 40, 78, 92, 116, 135. Erdmann, B. VI, 110. Fitzgerald IX. Freytag, W. 41. Galilei VII, 18. Gauß V, 2, 68, 69, 72, 98, 99, 100, 113, 117, 128, 129, 131, 188. Gerhards, E. 52. Görland, A. 29, 55. Harzer, P. 102, 110. Hausdorff, F. 116. Helmholtz, H. v. IV, V, VII, 2, 4, 6, 19, 86, 64, 65, 66, 72, 78, 92, 96, 99, 112, 126. Herbertz, R. VIII. Heymans, G. 74, 75. Hubert, D. 70, 92, 108, 180, 131, 133, 135. Hume, D. 28. JTaentsch, R. 78. James, W. 46, 46, 47, 48, 49, 50, 53, 78. Kant 2, 4. 19, 24, 25, 29—31, 82, 88, 52, 54,68,69,71,78,135. KekulS 20. Kepler 125. Killing, W. 105, 109 (vgl. Enriques 92). Klein, F. 88, 109 (vgl. Enriques 92), 129, 137. Krigar- Menzel 101. Kronecker, L. 39. Külpe, 0. 17, 28, 28, 29, 31, 39. I^agrange 131. Lie, S. 92. Liebmann, 0. 84, 70. Liszt, F. V. 22. Lobatschewski] 86, 99, 101, 131. Lorentz, H. IX. Lotze, H. 66, 67. Hach, E. 4, 28, 37, 88, 40, 41, 42, 45, 61, 78, 120, 122, 124. Mayer, Robert 30, 37, 38. 142 Autorenregister. Michelson, A. A. VIII, 100. Minkowski, H. IX, 108. MüUer, Aloys 118, 118. Ifatorp, P. 15, 35, 70, 71, 72, 113, 118. Nelson, L. 23, 28, 39, 44. Neumayr, M. VII. NewtonVII,32,48,131. Ostwald, W. 14, 28, 30, 37, 39, 40, 49, 56. Pasch, M. 186, 137. Planck, M. 51, 52. Plücker, J. 134. Poincare, H. 2, 53, 54, 78,112,116,116,117, 118—120, .122, 124, 129, 184, 188. Poncelet 131. Richarz, F. 101. Riemann, B. IV, V, 2, 72, 99, 112, 117, 119, 181. Bussen, B. 132. S^accheri 96. Schiller, F. C. S. 46, 46, 49. Schuppe, W. 54. Schur, F. 105, 180, 137. Schwarzsohild, K. 101, 102. Stäckel, P. 96, 98, 99. Staudt, e.V. 90, 131. Steiner, J. 131. Study, E. 69, 133. Vaihinger, H. 81, 45, 52, 53. Voß, A. 70, 99. üValtershausen , S. v. 98. Wassiljef, A. 110. Weber, H. 122, 188. Weierstraß 129. Wellstein, J. 119, 127, 137. Whitehead, A. N. 53. Wundt, W. 70, 74. Sachregister. Abbildung von Zahlenkontinuis auf- einander 114 — 120. Als Ob, Philosophie des 52, 53. Analysis als Grundlage der Geometrie 87-92, 118—133. Anschaulichkeit, Forderung der 129, 130, 138, 139. Anschauung siehe Baumschauung. Sogenannte Tatsachen der 129. Approximationsmathematik 137. A priori, a posteriori 29. Atomistik , idealistisch - positivi- stische Kritik der 34, 36, 40, 52, 86, 121. Außenwelt 6—11, 20-22, 41. Axiome und Axiomatik in der Geometrie 3, 125—138. Axiomiasis 127. Beschreibung, vollständige und ein- . fachste 37, 38. Bewegung 70—81, 93, 94, 106. Bogenelement 93—95, 118, 119. I>imensionen des Baumes 71, 82, 83, 87. Ding (an sich), Dinge 9, 15, 16, 30, 34. Einfachheit, Forderung der — der Hypothesen 43, 54, 75, 120—123. Elliptische Geometrie 105 — 107. Erfahrung, Verhältnis der — zur Geometrie 58—62, 66—72, 74, 78 —84, 89—90, 96—104, 111—120, insbes. 117, 123—124, 135—136. Erklärung 74, vgl. 16. Erwartung, sog. Einschränkung der 37, 44. Euklidische Geometrie 94, 108. Existenz 7, 15. ITunktionsstreifen, sog. 137. Geometrie, sog. Grundlagen der 130 ff. — , natürliche 57 — 60. — nach Wellstein 137. physische 112. — nach Helmholtz 112. Empirismus in der 117, 136. Umgrenzung des Begriffs — durch die Axiomatiker 127 ff. — (vgl. Axiomatik, elliptische. Eukli- dische, hyperbolische, sphärische, pseudosphärische Geometrie, Eo- ordinatengeometrie , Bauman- schauung). (Humanismus, sog.) = Pragmatis- mus 27. Hyperbolische Geometrie 107, 108. Hypothesen 7, 8, 11, 12, 14, 16, 26, 37, 74—78, 120—123. — über den Baum 60, 80—84, 93— 112. 144 Sachregister. Ich und Nicht- Ich 10, 11. Idealisierung von Erfahrungstat- sachen durch geometr. Systeme siehe Hypothesen über den Kaum. Idealismus (erkenntnistheoretischer) 24, 26, 33—35, 41, 54. Idealität, angebliche, von Raum und Zeit 30-33. Imaginäres in der Geometrie 90, 91. Immanenz 24. Intuition 138. KausaUtät 13, 41, 44. Kongruenz 82, 88, 93, 94, 106. — und Symmetrie 70. (Konszientialismus) 28. Koordinatengeometrie , Cartesische ; gewöhnliche oder konki*ete 84 — 86. — , abstrakte 86—92. Körper, starrer, physischer 78 ff., 113, 114. — , idealisierter 82, 104, 113, 114, 124. (Kritizismus) = Kant sehe Philo- sophie 25. Krümmungsmaß, Eiemannsches, und Krümmungsradius 95 — 102, 105—106, 118, 119. liinks und Rechts 69. Logik (Überschätzung der) 4, 134, 138. Maß, absolutes, für Distanzen 99, 100. Messungen, geodätische und astro- nomische 97—102, 137. (Metageometrie) = Nicht - Eukli- dische Geometrie 2. 63. (Metaphysik, metaphysisch) 8. Ökonomie des Denkens 26, 28, 39, 43 ff. — in der Mathematik 43, 127. Parallelen (angebliche Existenz in der Anschauung) 65, 66. Parallelenaziom (angeblich voraus- gesetzt bei Begründung der Nicht- Euklidischen Hypothesen) 113, 129. (Phänomenalismus) 25. PositivismuB 14, 24—26, 33, 36—43, 54. Pragmatismus 14, 24—26, 33, 43— 54. Projektion, geodätische und stereo- graphische 118, 119. Pseudosphärische Geometrie 93 — 94, 107—108, 118—119. Punkt 81, 87. (Rationalismus) = Idealismus 25, 48, 49. Raum, empirischer 1, 6, 7, 57 ff. — bei Kant und anderen Idealisten 30—34, 55, 63—72. — , Hypothesen über den 57—62, 76—84, 93—112, 115, 120, 123, 124, 131, 132, 137. Raumanschauung, Raumvorstellung 3, 63—72, 129—131, 135; vgl. 138, 139. Raumformen, Gliff ord-Kleinsche 105. (Raumordnung, sog.) ^ empirischer Raum 68, 71. Raumproblem siehe Raum, Hypo- thesen. Realisierung der Euklid. Geometrie 89, 91, 92. Realismus 4—22. — , naiver oder praktischer 12. — , theoretischer oder wissenschaft- licher 13. Realität 7. Rechts und Links 69. Reinheit der Methoden 139, 140. Sachregister. 145 ;m 108- der en) 43, {- Riemann-HelmholtzscheB Pro- blem 92. ^Spekulation, Überschätzung der — durch Idealisten 4, 33, 34—35, 70—72. — , Unterschätzung der — durch Positivisten 14, 15, 24, 26, 36, 38—41. Sphärische Geometrie 93, 102, 105. Subjektivismus 33. Symmetrie 69, 70. Transzendenz 8, 24, 29, 87. Unbewußtes 21, 138. Unendlich, vollendetes 32. Ungefähr 137. Vorteil, biologischer 37, 44 — 54. IVahrheit, Wahrheitsgehalt 19, 20. — , sog., im Pragmatismus 46 — 53. Wahrscheinlichkeit einfacher Hypo- thesen 121—123. Weltbüd 6—22, 73. Widerspruchsfreiheit von Analysis und Geometrie 132. Wülensfreiheit 20—22. WirkHchkeit 7. Wirklichkeitswert 19. Zahlenkontinuum (Raum als) 82— 83, 130. Zahlentripel, Zahlen n-tupel = Punkt 87, 91. Zirkelschlüsse, vermeintliche, in der Theorie des Raumproblems 99, 113; vgl. 129. Study, Realistische Weltansioht. 10 Verlag von Friedr. Vieweg & Sohn in Braunschweig. riiÄ \l/ic«c«AriC«/«k':if4- Sammluno von Elnzeldartteltanoen aus den Q«. I^IC VT l»en>UlCll L bieten der Naturwlttentohafl nnd der Toohnik. 37. Band: Vergleichende Mond- und Erdkunde von Prof. Dr. S. GOnther. Mit 23 Abbildungren und 4 Tafeln. 1911. Preis M 5,—, g:eb. M 5,80. ZÄ, Band: Das Relativititsprinzip. Von Dr. M. Laue. Zweite vermehrte Auflage. Mit 22 Abbild. 1913. Preis M 8,—, geb. M 8,80. 39. Band: Das Problem des absoluten Raumes und seine Beziehung zum allge- meinen Raumproblem. Von Dr. Aloys MQIIer. Preis M 4,—, geb. M 4,80. 40. Band: Die Leuchtgaserzeugung und die moderne Qasbeleuchtung von In- genieur Fritz Schmidt Mit 63 Abbildungen. Preis M» 2,50, geb. M» 3,20. 41. Band: Der Weltäther von Sir Oliver Lodge. Deutsch von H. Barkhausen. Mit 17 Abbildungen im Text und einer Tafel. Preis J/k 3, — , geb. M 3,60. 42. Band: Wechselstrom-Versuche von Prof. Dr. Anton Lampa. Mit 54 Abbild. Preis M 5,—, geb. JK, 5,80. 43. Band: Die Telephonie ohne Draht von Dr. K. Markau. Mit 103 Abbildungen. Preis Jü, 4,50, geb. M 5,20. 44. Band: Elektrobiologie. Die Lehre von den elektrischen Vorgängen im Organismus auf modemer Grundlage dargestellt von Prof. Dr. Julius Bernstein. Mit 62 Abbildungen. 1912. Preis geh. J^ki,—, geb. ^ 6,80. 45. Band: Die Physik der Röntgenstrahlen. Von Dr. Robert Pohl. Mit 72 Abbild. im Text und auf einer Tafel. 1912. Preis geh. J/k 5,— , geb. JÜ^ 5,80. 46. Band: Physikalische Grundlagen der Eleltitrotechnik. Von Prof. Dr. F. F. Martens. Erster Band : Eigenschaften des magnetischen und elektrischen Feldes. Mit 253 Abbildungen. 1912. Preis geh. M, 7,20, geb. M 8,— . 47. Band: Mimiloy und verwandte Erscheinungen. Von Dr. Arnold Jacobi. Mit 31 zum Teil färb. Abbildungen. 1913. Preis geh. it 8,—, geb. it 8,80. 48. Band: Die Entwickelung des Temperaturbegriffs im Laufe der Zeiten, sowie dessen Zusammenhang mit den wechselnden Vorstellungen von der Natur der Wärme. Von Kirstine Meyer. Aus dem Dänischen übersetzt von Irmgard Kotde und mit einem Vorwort von E. Wiedemann. Mit 21 Abbildungen. 1913. Preis geh. .^4,—, geb. .^4,80. 49. Band: Das Leuchten der Gase und Dämpfe mit besonderer Berficksichtigung der Gesetzmäßigkeiten in Spektren. Von Prof. Dr. H. Konen. Mit ^ Ab- bildungen im Text und einer Tafel. 1913. Preis geh. M 12,50, geb. M 13,50. 50. Band: Die Ökologie der Pflanzen. Von Prof. Dr. 0. Drude. Mit 80 ein- gedruckten Abbildungen. 1913. Preis geh. J^ 10,—, geb. M H,— . 51. Band: Der heutige Stand der Synthese von Pflanzenalkaloiden von Dr. Hugo Bauer. 1913. Preis geh. M 4,50, geb. M, 5,20. 52. Band: Die Brownsche Bewegung und einige verwandte Erscheinungen von Dr. G. L. de Haas-Lorentz. Von der Verfasserin ins Deutsche übersetzt. 1913. Preis geh. M 3,50, geb. M 4,20. 53. Band: Die tierische Immunität. Von Professor Dr. Werner Rosenthal. Mit einer Abbildung. 1914. Preis geh. JK, 6,50, geb. M 7,20. Weitere Bände In Vorbereitung. — Ausführliches Verzeichnis kostenlos. Kl RETURN TO the circulation desk of any University of California Library or to the , . NORTHERN REGIONAL LIBRARY FACIUTY feig BIdg. 400, Richmond Field Station University of California fngs- Richmond, CA 94804-4698 SEl^ONILL U. C. BERKELEY 12.000(11/95) 3,80. alen 80. B ALL BOOKS MAY BE RECALLED AFTER 7 DAYS • 2-month loans may be renewed by calling (510)642-6753 ^,80. ^ • 1 -year loans may be recharged by bringing books to NRLF ^ • Renewals and recharges may be made 4 — days prior to due date. un- »ge. ,80. DUE AS STAMPED BELOW D ^ Ihen dt. - MAR 1 9 M03 ^zu- |ind en. Bite ind ) S. 50. Kneser, Prof. Adolf, Lehrbuch der Variationsrechnung. Mit 24 Abbild. XV, 313 S. gr,8^ Jt 8,—, in Lnwdbd. Jt 9, — . - Die Integralgleichungen und ihre Anwendungen in der mathe- matischen Physik. Vorlesungen an der Universität zu Breslau. VIII, 243 S. 80. 1911. c^ 6,—, in Lnwdbd. t/« 7,—. . I-Band. 5. AufL XVIII,528S. ^ 12,— , in Hlbfrzbd. ^ 13,60. n. Band. 5. AulL XIV, 575 S. .^ 15,— , in fflbfrzbd. ^ 16,80. Werthelm, Prof. Gustav, Anfangsgrfinde der Zahlenlehre. Mit den Bildnissen von Fermat, Lagrange, Euler und GauC. Xin, 427 S. gr.S". ^ 9,—, in Lnwdbd. JC 10,—. Die Arithmetik des Elia Misrachi. Ein Beitrag zur Geschieht« der Mathematik. 2. verbesserte Aufl. IX, 68 S. gr. 8". J^ 3,—. Unser VerlagBTerzelohnis steht kostenfrei zu Diensten.